Pflanzenextrakte und ihre rätselhaften Wirkungen

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Am Austrian Drug Screening Institut werden die zahlreichen Wechselwirkungen zwischen Inhaltsstoffen ergründet.

Die dunkle Flüssigkeit in dem Fläschchen erinnert an Tee. Es handelt sich dabei jedoch nicht um einen Extrakt von Camellia sinensis, sondern um einen Auszug aus Heilkräutern, wie er hier im Analytiklabor des Instituts für Analytische Chemie und Radiochemie der Leopold-Franzens-Universität vollautomatisiert hergestellt wird.

Günther Bonn leitet dieses Institut und ist gleichzeitig wissenschaftlicher Leiter der analytischen Abteilung am „Austrian Drug Screening Institute“ (ADSI), das er gemeinsam mit dem Zellbiologen Lukas Huber von der Med-Uni Innsbruck und der Firma Bionorica initiierte. Unter „Screening“ versteht man das schrittweise Herausfiltern der besten Wirkstoffe aus einer großen Anzahl möglicher Kandidatenmoleküle. Anders als am Uni-Institut, wo „die Geräte schon ein paar Jahre alt“ seien, steht am ADSI neueste Technologie zur Verfügung, „weshalb das Forschungsunternehmen für uns eine wichtige Ausweichhilfe ist“, erklärt Bonn. Über die Kooperation mit Bionorica, das auf pflanzliche Arzneimittel spezialisiert ist, sei ein Weg gefunden worden, um finanzielle Engpässe an Unis besser zu bewältigen.


Viel Potenzial. Was hier seinen Ausgang nimmt, ist weltweit einzigartig: Nirgendwo sonst werden Pflanzenextrakte zur Gewinnung von pharmazeutischen Wirkstoffen gescreent. Am ADSI werden die dafür notwendigen, aufwendigen Methoden entwickelt. Diese sollen die Medikamentenforschung mit Pflanzenextrakten beschleunigen und zur Entwicklung von wirksamen und verträglichen Medikamenten beitragen. Speziell für komplexe Erkrankungen wie etwa Krebs oder das metabolische Syndrom sind bessere Lösungen als bisher erforderlich.

Das Besondere und gleichzeitig Herausfordernde an Pflanzenextrakten ist, dass es sich um Vielstoffgemische handelt, die mehrere Wirkstoffe enthalten, die sich in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken. Die Summen, die in der Medikamentenentwicklung derzeit versenkt werden, da Medikamente nicht richtig wirken bzw. in der klinischen Erprobung am Menschen durchfallen, gehen in die Milliarden.


Krankheiten simulieren. Am ADSI versucht man durch die Zusammenführung von Zellbiologie und analytischer Chemie einen neuen Weg: „Es füllt die Lücke zwischen akademischen Institutionen und der Pharmaindustrie, langfristig wollen wir es zu einer Technologieplattform für die Suche nach neuen Wirkstoffen aufbauen“, sagt Bonn.

Die Suche beginnt bei getrockneten Heilpflanzen, aus denen Extrakte gewonnen werden. Ziel ist es, in den nächsten Jahren von mehr als 120 Heilpflanzen, die vorwiegend aus Europa stammen, Extrakte zu gewinnen, diese zu analysieren und auf ihre Wirksamkeit zu testen. „In den letzten sechs Monaten haben wir bereits 39 Heilpflanzen extrahiert, wovon zwei näher analysiert werden“, resümiert Bonn.

Zwischen den Labors des Uni-Instituts und jenen des ADSI liegen nur ein paar Gehminuten. Letztere sind in einem ehemaligen Wohngebäude untergebracht. Die niedrige Raumhöhe verleihe den Laborräumen laut Lukas Huber, dem wissenschaftlichen Leiter der biologischen Abteilung des ADSI, „den Charme der 60er-Jahre“. Innen sieht es jedoch ganz anders aus: Pflanzenextrakte und Proteine werden mittels Hightech-Analytik identifiziert.

Ein paar Schritte weiter werden in der zellbiologischen Abteilung unter der Leitung von Winfried Wunderlich Testsysteme (Assays) entwickelt sowie High Content Screenings an sogenannten zellulären „Ko-Kulturen“ sowie Toxizitätstests durchgeführt. Bei Ko-Kulturen handelt es sich um Zellgemeinschaften, die eine Krankheit, etwa Knochenmarkskrebs oder das metabolische Syndrom, so gut wie möglich der Natur nachempfinden. „Die Ko-Kulturen sollen sich wie im menschlichen Körper verhalten“, erklärt Wunderlich.

Die Entwicklung von Testsystemen für die möglichst wirklichkeitsgetreue Simulation von Erkrankungen ist das Spezialgebiet des ADSI. In einem kürzlich gestarteten Projekt, das im Bridge-Programm der FFG gefördert wird, wird nach pflanzlichen Wirkstoffen zur Behandlung des metabolischen Syndroms gesucht. Die Kombination aus Bauchfett, erhöhtem Blutdruck und Cholesterinspiegel sowie beginnender Diabetes gilt als Hauptursache für Herzinfarkt und Schlaganfall. ADSI entwickelt nun Ko-Kulturen aus Fett- und Immunzellen bzw. aus Fett- und Muskelzellen, in denen Entzündungen und Insulinresistenz getestet werden.

Bald möchte man noch einen Schritt weiter gehen können: Mit dem am ADSI geplanten Screening wird man laut Wunderlich beobachten können, was Zellsysteme mit einem Wirkstoff machen und wie schnell sie sich daran anpassen. In dem Raum, der dafür vorgesehen ist, befindet sich derzeit der Prototyp des Screening-Geräts, das eigens für das ADSI entwickelt wird. Damit lassen sich jene Wirkstoffe herausfiltern, die am längsten und breitesten wirken – womit man auch einer Lösung für die Resistenzproblematik, etwa bei Krebs, einen großen Schritt näher kommen könnte.

ADSI

Das „Austrian Drug Screening Institute“ (ADSI) mit Sitz in Innsbruck ist spezialisiert auf Pflanzenextrakte. Es wurde im November 2012 – unter der Schirmherrschaft der ÖAW – eröffnet und hat aktuell 14 Mitarbeiter.

Derzeit ist die Uni Innsbruck alleiniger Gesellschafter des Unternehmens, das sowohl Auftrags- als auch Eigenforschung betreibt. Unter den zahlreichen Kooperationspartnern ist
auch das COMET-Zentrum Oncotyrol.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2013)

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