Fuhren die Neandertaler zur See?

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Die Neandertaler konnten aus Fasern Fäden drehen. Die könnten ihnen auch übers Meer geholfen haben.

Auf manchen griechischen Inseln, Kefalonia etwa und Zakynthos, finden sich Steinwerkzeuge in der Art, wie sie von Neandertalern vor etwa 100.000 Jahren hergestellt wurden. Die lebten damals auch gar nicht weit weg auf dem Festland, aber ein paar Kilometer sind bis zu den Inseln doch zu überwinden. Ging das früher einmal trockenen Fußes, als die Eiszeit so viel Wasser in Gletschern band, dass die Meeresspiegel sanken? Nein, George Ferentinos (Patras) hat nachgerechnet: Die Meeresspiegel lagen vor 100.000 Jahren um 120 Meter tiefer als heute, aber das Meer geht bei den Inseln 300 Meter hinab.

Also mussten die, die die Werkzeuge gebracht hatten, zur See gefahren sein (Journal of Archeological Science, 39, S. 2167). Oder, wandten Kritiker ein, sie könnten geschwommen sein. Das schied aus, als man solche Werkzeuge auch auf Kreta fand, die Insel ist weit vom nächsten Land. Waren die Neandertaler auch dort? Direkte Belege, Fossilien etwa, fanden sich nicht. Und wenn die Neandertaler es geschafft haben sollten, dann müssten sie eine der komplexesten Techniken beherrscht haben, die der Herstellung von Fäden, Schnüren, Seilen. Auf die gründeten etwa die Inka ihr ganzes Reich, sie überspannten schwindelerregendste Schluchten mit Hängebrücken.

Kleinwildjäger und Pilzsammler

Konnten Neandertaler ansatzweise Ähnliches, just sie, denen der Ruf anhängt, sie hätten sich ausschließlich von leicht erjagbarem Großwild ernährt und wären zu ungeschickt gewesen für die Jagd auf kleines, wendiges, Kaninchen etwa? Und sie seien auch deshalb ausgestorben, weil ein besserer Jäger als Konkurrent kam, Homo sapiens. Sie konnten es, zumindest die, die vor 90.000 Jahren – lange vor der Ankunft des Homo sapiens in Europa – in der Höhle von Abri du Maras im südlichen Frankreich lebten. Dort fand Bruce Hardy (Kenyon College) Erstaunlichstes: Spuren von Gemüse – auch dessen Verzehr sprechen viele den Neandertalern ab –, von Nüssen, von Pilzen und Spuren von kleinem Wild, Enten, Hasen. Und, zentral: Spuren von Pflanzenfasern, die zu Fäden zusammengedreht waren (Quaterny Science Reviews 82, S. 23). Bisher gab es nur indirekte Hinweise auf Fäden oder Schnüre – Abriebmuster an perforierten und irgendwie aufgehängten Schneckenhäusern, die als Schmuck getragen wurden –, nun ist klar, dass zumindest manche Neandertaler diese Kunst beherrschten. Und wer die beherrscht, der kann etwa Gras zu Körben binden und damit Pilze sammeln. Oder Äste zu Flößen und damit zur See fahren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2013)

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