Der Terrorismus wirkt auch durch die Macht der Bilder

(c) EPA (Jason Szenes)
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Menschen, die direkt in große Gewalt verwickelt sind, leiden psychisch weniger daran als Menschen, die von den Massenmedien mit Dauerinformation versorgt werden. Und viele nehmen nicht nur Schaden an der Seele, manche schwenken auch politisch um: zu den Konservativen.

Erinnern Sie sich noch an 9/11? Als die Bilder auf allen Kanälen in Endlosschleifen liefen und einem angst und bange wurde, obwohl man tausende Kilometer weg war? Die bloße Erinnerung bringt Gänsehäute! Aber das Geschehen und seine Bilder hatten noch ganz andere Folgen, für den Körper, für den Geist und für seine politischen Präferenzen.

Allein die Bilder machten krank. Lange ging die Psychologie davon aus, dass bei kollektiven Traumata nur die leiden, die an Ort und Stelle sind, sie geraten in Stress, der tut dem Herzen nicht wohl, der Psyche auch nicht. Wer hingegen nicht dabei war, sondern nur Bilder sieht, erleidet kein Trauma, so steht es im Handbuch „Diagnostic & Statistical Manual of Mental Disorders“. Aber nach 9/11 litten in New York doch Unbetroffene, und beim Oklahoma City Bombing (1995, 168 Tote, 680 Verletzte) und dem Golfkrieg von 1990 hatte es ähnlichen Verdacht gegeben.

Deshalb hat Cohen Silver (UC Irvine) die Reaktionen auf jüngere Schrecken getestet, etwa auf das Boston Marathon Bombing (2013, drei Tote, 264 Verletzte) und den Hurrikan Sandy (2012, 161 Toten in den USA). Abgefragt wurde der Stress von Augenzeugen in Boston und von Menschen in Boston – und New York und US-weit –, die das Geschehen nur aus den Massenmedien kannten. Sie litten mehr, die ewig wiederholten Bilder setzten sich stärker fest als das einmal Erlebte: Wer in der Woche nach dem Anschlag in Boston täglich sechs oder mehr Stunden mit den Bildern konfrontiert war, meldete drei Mal so viel Stress wie Augenzeugen, und neun Mal so viel wie Medienmuffel (Pnas, 9 12.).

Keine Berichterstattung, kein Stress

Besonders hoch waren die Werte in New York, Silver führt das darauf zurück, dass früherer Stress (9/11) anfällig macht für späteren. Ganz anders das Bild beim Sturm Sandy, der medial nicht stark begleitet wurde. Er brachte außer den Betroffenen niemanden in Stress. So groß ist die Macht der Medien? Es könnte natürlich auch umgekehrt sein: Wer ohnehin anfällig ist für Stress, lässt bei Alarm das TV dauernd an. Silver verweist auf das Problem, aber er hat auch die Mediennutzung vor und nach dem Ereignis abgefragt, sie war unverändert.

Oder kommt das ausbleibende Medien- und Stressecho bei Sandy daher, dass der Sturm eine Naturkatastrophe war? Und die anderen Ereignisse mit menschgemachter Gewalt zu tun hatten? Und können Letztere – Terroranschläge, Amokläufe – noch viel mehr bringen als Stress? Können sie das Verhalten ändern? Ja, sie bringen verstärktes politisches Engagement: Die Eltern der beim Amoklauf an der Sandy Hook School (2012, 28 Tote) zu Tode gekommenen Kinder etwa machten sich gegenüber dem US-Kongress für eine Verschärfung der Waffengesetze stark.

Aber das ist von der politischen Richtung her eher die Ausnahme: Terroranschläge bringen generell politische Mobilisierung, die Anhänger der US-Demokraten und -Republikaner schließen sich näher an ihre jeweilige Partei an, sie spenden mehr und gehen häufiger wählen. Das vermuten zwei Hypothesen, die von der „activity“ und die von der „ideological intensification“. Beide werden nun von Eitan Hersh (Yale) bestätigt, der die politikrelevanten Auswirkungen von 9/11 über die letzten zwölf Jahre verfolgt hat. (Seine Studie ist mit der von Silver nur bedingt zu vergleichen: Sie stützt sich nicht auf Befragungen, sondern auf Daten, die der Wahlbeteiligung etwa; und sie unterscheidet nicht zwischen Augenzeugen/Medienkonsumenten.)

„Conservative-shift hypothesis“

Hersh bestätigt noch eine Vermutung, die „conservative-shift hypothesis“: Terroranschläge verschieben die politische Vorliebe der Bürger hin zu den Republikanern, der Effekt ist nicht sehr groß, aber messbar und dauerhaft (Pnas, 9. 12.). Das macht politische Entscheidungen nicht einfacher, Befunde früherer Studien machen die Lage kompliziert: Wer direkt betroffen ist und voller Angst, plädiert für eine Festung Amerika, die ihre internationalen Aktivitäten einstellt. Wer hingegen nicht betroffen ist und nur voller Sorge, der will den Terrorismus bis in den letzten Winkel der Erde verfolgt sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2013)

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