Wagners Kopfweh wurde Siegfrieds „Migräne-Leitmotiv“

GERMANY BAYREUTH WAGNER
GERMANY BAYREUTH WAGNER(c) EPA (Marcus Fuehrer)
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Schmerzspezialist hört und sieht des Meisters Leiden in Musik umgesetzt.

„Felsenhöhle im Wald; darin ein natürlicher Schmiedeherd mit einem großen Blasebalg. Am Amboß davor sitzt MIME, eifrig an einem Schwert hämmernd.“ Mit dieser Regieanweisung eröffnet Richard Wagner seinen „Siegfried“, die Musik nimmt es lautmalerisch auf, erst pulsiert und pocht es nur im Hintergrund, dann drängt es nach vorn und ins Fortissimo. Und wenn es kaum mehr zu ertragen ist, setzt endlich Mime ein: „Zwangvolle Plage! Müh ohne Zweck!“

Das regt die Fantasie mancher Regisseure an, 2009 ließ Anthony Pilavachi den Mime in Lübeck Zeichen fürchterlichsten Kopfwehs zeigen, im gleichen Jahr musste er in Claus Guths Inszenierung in Hamburg gar mengenweise Aspirin schlucken. Traditionalisten mögen das als modischen Auswuchs des Regietheaters verdammen, aber es entspricht dem Original, wie es ihm nicht besser entsprechen kann. Was Mime aus dem Orchestergraben zu hören bekommt, ist das „Migräne-Leitmotiv“, das auch im Komponisten tobte. So diagnostiziert es zumindest Carl Göbel vom Schmerzzentrum Kiel, der Wagners Krankengeschichte mit seinem Schaffen korreliert hat (British Medical Journal, 12.12.).

Der Meister hatte alle erdenklichen Leiden, „die schlimmste Plage“ seines Lebens aber war ein Kopfschmerz, der die Arbeit lahmlegte. Und ausgerechnet, als er an der Eröffnung des „Siegfried“ saß, drang es auch über die Straße herein: „Ein Kesselflicker hatte sich gegenüber von unserem Haus eingerichtet und betäubte meine Ohren den ganzen Tag mit seinem unablässigem Gehämmer.“ Das notierte Wagner am 22. September 1856 in sein Tagebuch (der Wortlaut mag nicht ganz korrekt sein, es ist eine Rückübersetzung aus dem Englischen).

Aber es sollte noch ärger kommen, in der 3. Szene des 1. Akts bringt Wagner die Lichterscheinungen, die schwere Migräne begleiten, zu Musik: „Verfluchtes Licht“, flucht Mime zu wild flackernder Musik. Dann wurde es zu viel, Wagner konnte nicht mehr, den 2. Akt schaffte er erst zwölf Jahre später, 1864. 1871 war das Werk vollendet, 1876 kam die Premiere, Hans Richter dirigierte, für Wagner zu schleppend. Spielt man es rascher, hat das Flackern der Musik exakt die Frequenz, in der das Licht der Migräne pulsiert. (jl)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2013)

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