Nach über 60 Jahren: Queen begnadigte Alan Turing

Der Mathematiker, der legal chemisch kastriert wurde, ist rehabilitiert.

Er war einer der größten Mathematiker, er hat den Zweiten Weltkrieg mit entschieden, indem er das deutsche Chiffriersystem Enigma knackte: Alan Turing. Am 7.Juni 1954 fand man ihn tot, mit 41 Jahren, neben ihm stand ein halb aufgegessener Apfel. Dieser wurde nie analysiert, aber bald kam der Verdacht auf, Turing habe ihn bzw. sich mit einem Zyanid vergiftet. Er hatte in seinen letzten Lebensjahren oft ein Lied vor sich hin gesungen, das er im Kino gehört hatte, in „Schneewittchen“: „Dip the apple in the brew/Let the sleeping death seep through.“

Grund hätte er gehabt. Turing war homosexuell. Das war damals im United Kingdom strafbar – und wie! 1952 machte man ihm einen Prozess wegen grober Unzucht und sexueller Provokation, er wurde vor eine böse Wahl gestellt: Gefängnis oder chemische Kastration (mit Östrogen). Er entschied sich für Letzteres und verfiel darüber in Depression.

„Our free pardon posthumously“

Vergessen wurde er nicht, in der Öffentlichkeit stieg der Druck zur Rehabilitierung: 2009 entschuldigte sich die britische Regierung, aber die Rechtslage sei eben 1954 so gewesen. Darauf folgte eine Petition für eine echte Rehabilitierung – inklusive: „Turing auf die Zehn-Pfund-Note!“ –, Zehntausende unterschrieben, von Stephen Hawkings abwärts. Auf diese hat die Queen nun reagiert, am Heiligen Abend begnadigte sie Turing: „We are graciously pleased to extend our Grace and Mercy unto the said Alan Mathison Turing and to grant him Our free pardon posthumously in respect of the sad convictions. AND to pardon and remit unto him the sentence imposed upon him (...) In the sixty-second Year of Our Reign.“

Ja, in dem Jahr, in dem er verurteilt wurde, wurde sie gekrönt. Die Reaktionen auf den Gnadenakt fielen gemischt aus (Sciencenow, 24.12.). „Fantastisch“, freute sich Barry Cooper, Mathematiker der Uni Leeds und Chef des Turing Centenary Advisory Committee. Eher enttäuscht zeigte sich hingegen Andrew Hodges, Mathematiker in Oxford. Ihm missfällt, dass zwar Turing als Person rehabilitiert wurde, vielen seiner Leidensgenossen aber weiterhin die Schmach bleibt: „Ich kann in einer solchen Begnadigung keinerlei gutes Rechtsprinzip sehen. Bestenfalls bedeutet sie, dass ein hinreichend wertvolles Individuum über dem Gesetz stehen sollte, das für alle anderen gilt.“ (jl)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.12.2013)

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