Mundgeruch (nach Nikotin) rettet Leben

(c) Ian Baldwin
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Insekten, die über Pflanzen herfallen, können deren Waffen – Gifte – erst neutralisieren, dann selbst nutzen.

Niemand wird gerne gefressen, weder die Pflanzen noch die, die sich über sie hermachen, die Heere hungriger Insekten etwa. Gegen die haben Pflanzen, die nicht weglaufen und auch nicht zuschlagen können, ein breites Arsenal von Chemiewaffen, Tabak etwa arbeitet mit dem Gift Nikotin, es legt bei denen, die es fressen, die Muskeln lahm. Sie müssen es ja nicht fressen, es gibt eine Warnung: Nikotin schmeckt bitter. Aber alle lassen sich nicht abschrecken, der Tabakschwärmer Manduca sexta etwa hat einen Entgiftungsmechanismus entwickelt, seinen Raupen kann Nikotin nichts anhaben. Mehr noch, sie nutzen das Gift zur Abwehr von manchen, die sie fressen wollen: Spinnen.

Chemische Kriege mit allen Tücken

Das ist die jüngste Überraschung von Ian Baldwin (MPI Chemische Ökologie, Jena), der seit Jahren auf höchstem Niveau zusammenbringt, was ansonsten hoffnungslos auseinanderdriftet, Hightech-Genetik und sorgsame Beobachtung im Feld. Das von Baldwin ist ein Stück freie Natur in den USA, auf dem der wilde Tabak bba gedeiht. Der merkt nicht nur, wenn an ihm geknabbert wird, er merkt auch, wer knabbert, er merkt es am Speichel: Bei vielen Fraßinsekten fährt er dann die Produktion von Nikotin hoch, bei M. sexta reduziert er sie und produziert stattdessen Enzyme – Proteasen – und Düfte, „green leaf volatiles“, die Feinde der Feinde herbeirufen, Raubwanzen, die die Raupen fressen, und parasitische Wespen, die ihre Eier in sie legen.

Auch wenn die Produktion herabgefahren wird, ist Nikotin da, in der Natur. Erst Gentechnik bringt nikotinfreien Tabak. Das hat Baldwin im ersten Schritt getan. Dieser Tabak mundet dem Tabakschwärmer auch – aber er mundet dann auch Wolfsspinnen. Hat die Raupe hingegen Nikotin im Leibe, wendet sich die Spinne mit Grausen ab, sie spürt das Gift in dem Moment, in dem sie den Kopf der Raupe betastet, um die Kieferklauen hineinzustecken (Spinnen haben keine Zähne, sie injizieren der Beute Verdauungssäfte und saugen dann). Wie das? Im zweiten Schritt veränderte Baldwin Manduca sexta gentechnisch an vielen Genen, zwei zeigten den Mechanismus (Pnas, 30. 12.): Die Raupe transportiert das Nikotin erst aus dem Magen in die Hämolymphe und von dort ins Maul, das dünstet es aus. „Es ist“, schließt Baldwin, „eine Form eines Verteidigungsmundgeruchs“.  (jl)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2013)

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