Das Mekka der Steinzeit: Orkney

(c) EPA (Tim Ockenden)
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Lange vor Stonehenge wurden ganz im Norden der Britischen Inseln die ersten Steinringe errichtet. Von dort breiteten sich die Monumente aus.

Wenn es um die mächtigen Monumente der Britischen Inseln geht, denkt man automatisch an Stonehenge, ganz im Süden der Hauptinsel, es überragt alles, ist die Krönung. Aber es ist auch nur die Krönung: Die ersten Steinkreise entstanden anderswo, hoch im Norden auf der Hauptinsel der Orkneys, am Ness of Brodgar. Dort wurden vor 5200 Jahren zunächst gewaltige Steinmauern aufgetürmt, sie haben mysteriöse Gravuren, ein paar Jahrhunderte später kamen zwei Steinringe, der größere (Ring of Brodgar) hat 104 Meter Durchmesser, ihn begrenzen 60 bis zu 4,5 Meter hohe Megalithen, sie wurden aus bis zu 15 Kilometern Entfernung aus allen Teilen der Insel herbeigeschafft.

Und vielleicht ging es eben darum, um das Zusammenbringen der Steine bzw. der Menschen – etwa 10.000 lebten auf den Orkneys –, das vermutet Mark Edmonds (York): Der Akt des Bauens sei mindestens so wichtig gewesen wie das Produkt, in ihm habe die neue Gesellschaft sich integriert. Diese Gesellschaft war eine der Bauern, es gab sie noch nicht lange so hoch im Norden, begonnen hat die Landwirtschaft wieder weit weg, in Zeit und Raum, vor 11.000 Jahren in Anatolien. Dort wurden, in Göbekli Töpe, kurz darauf auch die allerersten Steine aufgestellt – kunstvoll behauene, Tierfiguren etwa –, dann kam lange nichts.

Zwar machten sich vor 8500 Jahren erste Bauern auf den Weg nach Westen, und vor 6000 Jahren waren sie im Süden der Britischen Inseln. Zudem errichteten sie unterwegs Gebilde aus Steinen, aber nur kleine, Gräber etwa (Ausnahme sind Megalithen in Carnac in der Bretagne). Aber erst auf den Orkneys ging es wieder ins Monumentale.

Das nimmt einer einleuchtenden Hypothese, die Richard Breadly (Reading) in den 90er-Jahren entwickelte, etwas Kraft. Ihr zufolge waren die Steinkreise Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins: Jäger und Sammler hätten mit und in der Natur gelebt, Bauern sich von ihr abgegrenzt, auch mit den Steinen. Warum sie das erst wieder auf den Orkneys taten und warum just in diesem entlegenen Winkel, ist unklar, sicher ist jedoch, dass die Ringe Kultstätten waren, die Pilger von weit anzogen. Sie feierten Feste, Unmengen von Kalbsknochen zeugen davon. Die Tiere brachten sie mit. Auf der Insel gab es kaum Tierhaltung, dort wurde Getreide gepflanzt.

Von Durrington, „Stadt der Lebenden“ . . .

Und dorthin kamen die Menschen von allen Seiten: „Es war das Zentrum ihres Universums“, erklärt Colin Renfrew (Cambridge), und Nick Card (Orkney Research Center for Archeology) ergänzt: „Es war wie Mekka.“ Auf ihren Heimreisen nahmen die Pilger viel mit, auf den Orkneys blühte der Erfindergeist, dort wurden nicht nur Steine aufgestellt, dort wurde eine ganz neue Art der Keramik entwickelt, und eine neue Technik des Hausbaus auch. Alle drei – Häuser, Keramik, Steinringe – verbreiteten sich rasch über die Britischen Inseln, bis hinab nach Stonehenge und in die nahe gelegene Stadt Burrington Walls. Die ist in der Luftlinie drei Kilometer von Stonehenge entfernt, auf etwas längerem Weg sind die beiden Orte durch den Fluss Avon verbunden. Auf dem wurden die toten Herrscher – nicht nur sie, die anderen Toten wohl auch – per Schiff von Durrington Walls, der „Stadt der Lebenden“, nach Stonehenge in die „Stadt der Toten“ gebracht.

. . . nach Stonehenge,  „Stadt der Toten“

Das ist der jüngste Stand, und das Lebens/Todes-Modell „bewährt sich gut“, berichtet Joshua Pollard (Southhampton). Er stützt sich etwa darauf, dass beide Orte über gut ausgebaute Straßen – Prozessionswege – mit dem Fluss verbunden waren. Und weiters spricht für seine These, dass man in Stonehenge nur Menschenknochen gefunden hat, in Durrington Walls hingegen (fast) nur Tierknochen, und zwar viele. Offenbar wurden die Toten mit ausgiebigen Schmäusen verabschiedet, vor allem Herrscher, zu deren Bestattung Pilger in großer Zahl anreisten. Auch sie trieben ihr Futter mit, das zeigen Zähne der verspeisten Kälber bzw. Isotopen darin. In ihnen ist archiviert, wo die Kälber groß wurden. Nur etwa ein Drittel stammte aus der Region, viele kamen über weite Strecken, etwa aus Wales (Science, 343, S. 18).

Dorther kamen auch die riesigen Steine des innersten und engsten Kreises: Blausteine (Dolomit), 80 Stück, zwischen einem und drei Tonnen schwer. Der Sage nach hat sie der Zauberer Merlin persönlich aus Irland nach Stonehenge gebracht. Aber sie kamen mit Menschenkraft – wie ist ungeklärt – 225 Kilometer aus Wales: Stonehenge war, wie die Orkney-Insel, ein Ort der politischen Integration. Allerdings kamen auf den Orkneys die Steine von allen Seiten, in Stonehenge nur aus Wales, das ist das nächste Rätsel.

Weltkulturerbe

„The Heart of Neolithic Orkney“ nannte die Unesco die Kulturdenkmale auf der Hauptinsel („Mainland“) der Orkney Islands, denen sie 1999 den Status als Weltkulturerbe zuerkannte. Dazu gehören der Ring of Brodgar, die Stones of Stenness (ebenfalls ein „Henge“, der Name ist von Stonehenge abgeleitet), der Maeshowe Cairn, die neolithische Siedlung von Barnhouse (aus 15 Häusern) und verstreute Menhire („standing stones“). Touristisch ist dieses Weltkulturerbe ein großer Erfolg: Orkney hat im Fremdenverkehr 20-prozentige Zuwächse pro Jahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2014)

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