Wie Prionen das Gedächtnis stützen

SWITZERLAND ART RODIN
SWITZERLAND ART RODIN(c) EPA (Eddy Risch)
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Von den infektiösen Proteinen, die zunächst als Krankheitserreger aufgefallen sind, haben manche eine wichtige Funktion: Sie verfestigen im Gehirn Erinnerungsspuren und bauen das Langzeitgedächtnis auf.

Prionen, erinnern Sie sich? Der Begriff wurde ins Bewusstsein gerückt, als sich in den 1990er-Jahren ganz neue Bedrohungen verbreiteten, Krankheiten, die bei Menschen und Tieren die Gehirne löchrig machten wie Schwämme: Rinderwahn (BSE) und Creutzfeld-Jakob (CJD). Ganz neu waren solche unheilbaren Leiden nicht, CJD hatte es, genetisch bedingt, immer gegeben, und in den 1950ern dezimierte eine ähnliche Krankheit Indigene auf Neuguinea: Kuru. Dort zeigte sich eine erste Spur: Diese Menschen verzehrten rituell Gehirne ihrer Verstorbenen.

Man verbot es, Kuru verschwand, das Interesse daran auch. Erreger hatte man zwar nicht gefunden, aber irgendetwas Infektiöses musste es gewesen sein, Bakterien oder Viren mit DNA/RNA als Informationsträger, etwas anderes gibt es ja nicht. Oder doch? 1982 hatte Stanley Prusiner eine Idee: Auch Proteine könnten Information speichern und verbreiten, indem sie sich falsch falten und diese Eigenschaft an andere weitergeben, sie anstecken. Prusiner nannte die hypothetischen Moleküle „proteinaceous infectious particles“ („Prion“) und die Hypothese „protein only“, Infektion ohne DNA/RNA.

Er wurde verlacht, er behielt recht – BSE und CJD sind Prionenkrankheiten –, 1997 erhielt er den Nobelpreis. Da war der Schreck schon gebannt. BSE hatte sich unter Rindern verbreitet, weil man zermahlene Rinderkadaver in Rinderfutter gemischt hatte; und CJD war mit dem Fleisch dieser Rinder auf die Teller bzw. Menschen gekommen. Man verbot das grausige Futter, damit bekam man die Leiden in den Griff. Das Interesse an Prionen dünnte sich aus, aber es kehrte wieder, als man andere Prionen fand, solche, die indirekt Schaden anrichten – man vermutet ein Mitspielen an den Ablagerungen, die bei Alzheimer das Gehirn zerstören –, und solche, die überhaupt nichts anrichten. Diese sind offenbar für irgendetwas gut, sonst hätte die Evolution sie längst abgeschafft.

Gedächtnis braucht langlebige Proteine


Aber wofür? Beispielsweise dafür, dass wir uns heute noch an das Wort „Prionen“ erinnern: Sie haben mit dem Gedächtnis zu tun bzw. mit dem dauerhaften Verfestigen von Erinnerungsspuren. Das leistet das Gehirn mit dem Verstärken von Synapsen – den verbindenden Spalten zwischen Gehirnzellen –, und dort dadurch, dass Proteine eingelagert werden. Aber es müssen besondere Proteine sein, normale zerfallen rasch. Es müssen Prionen sein: Sie zerfallen zwar auch, haben dann aber ihre Information – die Form – schon weitergegeben, an andere Proteine. Dass das so ist, zeigte 2003 im „proof of principle“ Eric Kandel – der Wiener Emigrant, der 2000 den Nobelpreis erhielt – an dem Modelltier, an dem er das Gedächtnis erkundet, der Meeresschnecke Aplysia.

Kandel bemerkte das nicht allein, an seiner Seite arbeitete Kausik Si (Kansas). Dieser ist nun an die Feinheiten gegangen, an Fruchtfliegenmännchen (PLoS Biology, 11. 2.). Sie müssen sich v. a. eines merken: Weibchen, die sie abgewiesen haben. Sie werden es wieder tun. Dafür, dass die Männchen dann keine überflüssige Energie verschwenden, sorgt in ihren Gehirnen – in den Synapsen – ein Protein, Orb, es kommt in zwei Formen, Orb1 und Orb2. Beide sind normale Proteine, aber Orb1 – es ist selten – kann sich in ein Prion verwandeln und dann Orb2 infizieren. Dafür braucht Orb1 Signale, es soll sich nicht jede Erinnerung verfestigen. Das Signal ist wieder ein Protein, TOB; es wird von dem durch die Gehirnzelle wandernden elektrischen Signal aktiviert. Ist das bei uns auch so? Si vermutet es, wir haben Proteine, die mit Orb2 und TOB verwandt sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2014)

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