Geld regiert die Welt? Hormone regieren das Geld!

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Wenn die Geldmärkte ins Flattern kommen, reagieren die Akteure mit erhöhten Konzentrationen eines Hormons, das den Körper auf Stress vorbereitet. Das verstärkt die Krise, weil es die Akteure ängstlicher macht.

Volatilität, was für ein Wort, erst klingt es rund und mild, dann nimmt es Schwung und hebt sich in die Lüfte. Aber die Onomatopoesie trügt, in Wahrheit geht alles drunter und drüber auf den Geldmärkten, wenn die Volatilität steigt: Dann schwanken die Kurse immer breiter und unabsehbarer, dann flattern keine Flügel hoch am Himmel, sondern die Nerven unten auf dem Parkett. Aber dann schlägt auch die große Stunde der Börsianer, zumindest in der Theorie: Es gibt viel zu gewinnen, das wird sich doch unter exakter Kenntnis der Abläufe der Ökonomie kalkulieren lassen, ganz kühl und rational?

Na ja, John Stuart Mill, einer der Gründerväter der Nationalökonomie, sah es in den 1870er-Jahren noch differenzierter: Zwar war die Wirtschaft für ihn regiert von Gesetzen, aber die Befindlichkeiten der Handelnden spielten hinein, Mill verglich es mit den Gezeiten: Den großen Takt schlägt der Mond, aber über die regionale Höhe der Ebben/Fluten entscheidet die Morphologie der Küsten. Von Letzterem – übersetzt: von der Psychologie der Akteure – wollte Beginn des 20. Jahrhunderts dann aber Wilfried Pareto nichts mehr wissen: Was hinter einer Entscheidung stehe, habe die Ökonomie nicht zu interessieren, ihr gehe es um die nackten Fakten, die Entscheidungen, nicht die Motive: „Politische Ökonomie sollte sich so wenig wie möglich mit Psychologie beschäftigen.“

Testosteron: Gefahr von Risikosucht


Dieser Reduktionismus hielt lange, aber spätestens in der Finanzkrise 2007 bis 2009 zeigte sich, dass Akteure auf Finanzmärkten nicht nur vom Geld bzw. dessen Mehrung getrieben sind, sondern auch von den Trieben bzw. den Biomolekülen, die sie steuern, den Hormonen. Vor allem von zweien: Testosteron und Cortisol. Beide beeinflussen etwas, was für Ökonomen eher als Konstante galt, die Risikobereitschaft. Die Wirkungen von Testosteron kennt man vom Sport: Die Werte steigen schon vor dem Wettkampf, bei Gewinnern steigen sie hinterher auch (bei Verlierern sinken sie). Dieser Gewinnereffekt erhöht die Risikobereitschaft, auch an der Börse: Wer sie morgens schon mit höherem Testosteron betritt, macht den Tag über bessere Geschäfte, zumindest solange der generelle Trend nach oben weist. Dann kann das „Eingehen von Risken zum Suchtverhalten werden“ und böse enden, das hat Joan Coates, früher Börsenhändler, heute Hirnforscher in Cambridge, im Jahr 2008 schon bemerkt, er hat die Hormongehalte von Börsenhändlern (in der Spucke) eine Woche lang mit der Risikobereitschaft verglichen (Pnas, 105, S. 6167).

Aber er hat damals nicht nur Testosteron gemessen, sondern auch Cortisol, das ist ein Hormon, das den Körper auf Stress vorbereitet. Das stieg bei den Händlern, wenn der Markt volatil wird, um 68 Prozent. Wie wirkt sich das aus? Das hat Coates nun experimentell getestet, an Probanden, denen er im Labor eine Woche lang Cortisol – oder ein Placebo – verabreichte, so viel, dass auch sie 68 Prozent mehr im Körper hatten. Dann ließ er sie spielen, um Geld, echtes Geld, es war eine Lotterie, in der man zwischen kleinen und großen Einsätzen wählen konnte, mit Chancen/Risken, die denen eines Marktes mit hoher Volatilität entsprachen.

Cortisol: Gefahr von Mutlosigkeit


Dabei zeigte Cortisol ein Doppelgesicht. Kurzfristig stärkt es Aufmerksamkeit und Gedächtnis, auch Neugier und Motivation, der Körper bereitet sich ja auf Stress vor. Aber über längere Zeit („chronisch“) bewirkt es das Gegenteil, es macht  geistig unbeweglich und emotional ängstlich, und das innerhalb der kurzen acht Tage: Die Testpersonen, vor allem die Männer, fuhren ihre Risikobereitschaft stark herab und setzten nur auf kleine, relativ sichere Wetten (Pnas, 17. 2.).

„Ausgerechnet dann, wenn die Ökonomie Risikobereitschaft brauchte, geht sie zurück“, interpretiert Coates: „Und niemand in der Finanzwelt – nicht die Händler, nicht die Banker –, weiß von diesem untergründigen Geschehen. Das ist beängstigend.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2014)

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