Kosmologie: Frühjahrsputz in der Physik

USA SCIENCE BIG BANG
USA SCIENCE BIG BANG(c) APA/EPA/STEFFEN RICHTER / HARVAR (STEFFEN RICHTER / HARVARD UNIVER)
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Der Nachweis von Gravitationswellen, die von der anfänglichen Explosion des Universums stammen sollen, erschüttert auch die theoretischen Physiker. Etliche bisher mögliche Theorien scheinen nun widerlegt. Das erleichtert viele.

Ich habe etwas Schreckliches getan“, bekannte der – sonst nicht für seine Demut bekannte – Physiker Wolfgang Pauli im Jahr 1930: „Ich habe ein Teilchen vorhergesagt, das nicht nachgewiesen werden kann.“ Es war das Neutrino: Pauli postulierte dessen Existenz, um zu gewährleisten, dass beim radioaktiven Beta-Zerfall die Energie erhalten bleibt. Dieses Prinzip war ihm, dem Theoretiker, so wichtig, dass er dafür auch ein Teilchen in Kauf nahm, von dem er dachte, dass es sehr schwer zu messen sei. Tatsächlich wurde das Neutrino 26 Jahre später nachgewiesen, es ist längst fixer Bestandteil des Standardmodells der Teilchenphysik.

Im Gegensatz zu etlichen Teilchen, die in den letzten Jahrzehnten von theoretischen Physikern postuliert wurden: Wimps, Axionen, supersymmetrische Teilchen vom Wino bis zum Squark... Sie alle verdanken ihre hypothetische Existenz diversen Theorien, die auf dem Prüfstand standen und stehen.

Stehen sie auf dem Prüfstand? Prinzipiell ja. Wie jede Theorie immer. So gut wie alle Naturwissenschaftler können sich bis heute auf den Grundsatz einigen, den Karl Popper 1934 in seiner „Logik der Forschung“ erklärt hat: Eine wissenschaftliche Theorie kann nie endgültig bewiesen (verifiziert) werden. Im Gegenteil: Sie muss durch Experimente falsifizierbar sein. Dadurch unterscheidet sie sich von Pseudowissenschaften wie Astrologie.

Ein Problem der theoretischen Physik in den letzten Jahrzehnten: Sie produziert eine Unmenge von Theorien, die zwar prinzipiell falsifizierbar sind. Allein, es mangelt an den dafür notwendigen Messungen. Polemisch gesagt: Die theoretischen Physiker haben zu viele Freiheiten. Sie können sich x-dimensionale Universen ausdenken, supersymmetrische Teilchen, die einfach zu schwer sind, um sie mit heutigen Teilchenbeschleunigern zu erzeugen. Sie können die dunkle Materie, die sie im Universum wähnen, mit hypothetischen Teilchen füllen, sie können die noch seltsamere dunkle Energie auf mannigfaltige Weise erklären, sie können eine Vielheit von Universen beschreiben, die nebeneinander existieren, was immer das heißen mag...

So ist jede Messung willkommen, die die Flut der Theorien einzudämmen vermag. Wie die spektakuläre Messung mit dem Bicep2-Teleskop, über die Astronomen am 17.März berichteten. Sie fanden in der kosmischen Hintergrundstrahlung Muster, die mit großer Wahrscheinlichkeit von Gravitationswellen kommen, die mit der kosmischen Inflation entstanden sind, die sofort nach dem Urknall begann. Die Muster sprechen also für die kosmische Inflation. Sie sagen freilich mehr. Nämlich auch, welche der zahlreichen Modelle der kosmischen Inflation nun nicht mehr infrage kommen. Und sie falsifizieren auch etliche andere Theorien. „Das gibt einen großen Frühjahrsputz, bei dem fast alles ausgeschlossen wird“, jubelt Max Tegmark, Kosmologe am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, laut Nature News: „Das erschüttert die theoretische Welt.“

Kein Clash der Universen mehr

Besonders erregt sind naturgemäß die Theoretiker, die Modelle der kosmischen Inflation erarbeitet haben. Zunächst natürlich Alan Guth, der die Inflationstheorie 1981 eingeführt hat, um zu erklären, warum das Weltall heute so homogen und so flach ist. Die Bicep2-Messungen seien „ein total neues, unabhängiges Beweisstück dafür, dass das Bild der Inflation stimmig ist“, sagte er sofort. Ein gravierender Nachteil dieser Theorie ist freilich bis heute, dass man für sie ein hypothetisches Feld einführen muss, das ganz offensichtlich heute nicht mehr wirkt.

Entsprechend vielfältig entwickelte sich diese Theorie weiter. Eine ihrer Varianten ist die „chaotische Inflation“, vorgeschlagen 1986 von Andrei Linde: Ihr zufolge expandiert der Großteil des Universums ewig inflationär, nur in manchen „Blasen“ (z.B. der, in der wir leben) verläuft die Expansion langsamer. Die Daten von Bicep2 würden 90Prozent der Inflationsmodelle eliminieren, sagte Linde bei einer überfüllten Vorlesung am MIT, bei der er scherzhaft seinen Bizeps zeigte. Auch eine Alternative zur Inflation, die Theorie des „Cyclic Universe“, sei nun auszuschließen. Sie sagt, dass der Urknall sich dem Zusammenstoß zweier dreidimensionaler „Brane Worlds“ in einem höherdimensionalen Raum verdanke. Bei einem solchen Clash der Welten wären aber (in unserem Universum) keine Gravitationswellen entstanden.

Die „Branes“ in dieser Theorie sind Weiterentwicklungen der winzigen „Strings“, aus deren Schwingungen viele theoretische Physiker alle Teilchen erklären wollen. Leider mündete ihr verwickeltes Spiel mit höheren Dimensionen in einer gigantischen Anzahl von Theorien (monströse Zahlen wie 10500wurden genannt), sodass Spötter von einer „Theory Of Anything“ statt einer „Theory Of Everything“ sprachen. Etliche Stringtheoretiker würden jetzt „zurück ans Zeichenbrett“ geschickt, erklärt Nobelpreisträger Frank Wilczek: Denn ihre Modelle ergeben Gravitationswellen mit viel geringeren Energien, als man nun mit Bicep2 gemessen hat.

Ebenfalls betroffen sind Teilchen namens Axionen, die aus der Theorie der starken Kernkraft kommen. Mit ihnen wollen manche Physiker die dunkle Materie erklären, ohne die man z.B. die Bewegung der Galaxien nicht verstehen kann. Etliche Axionen-Modelle kommen jetzt nicht mehr infrage, sagt der Kosmologe Marc Kamionkowski. Ganz allgemein gelte: „Die Familie der akzeptablen Modelle ist ungeheuer geschrumpft.“

SPUREN KOSMISCHER INFLATION

Mit dem Bicep2-Teleskop (auf der Amundsen-Scott-Südpol-Station) fanden US-Astronomen in der das ganze All erfüllenden Hintergrundstrahlung ein Muster, das offenbar von Gravitationswellen erzeugt wurde. Diese sollen von der kosmischen Inflation stammen, in der sich das Universum sofort nach dem Urknall rasend schnell ausgedehnt haben soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2014)

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