Tamiflu ist etwas wirksamer als ein Placebo

Tamiflu
Tamiflu(c) Reuters (ADREES LATIF)
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Eine internationale Ärztegruppe hat alle klinischen Tests gesichtet und kommt zu dem Befund, dass die Verwendung in der klinischen Praxis als Grippemittel „infrage zu stellen“ sei.

Eine Grippe dauert sieben Tage, wenn man nichts dagegen nimmt; nimmt man hingegen etwas, ist sie nach einer Woche vorbei. Mit dieser Rechnung tröstet sich der Volksmund darüber, dass gegen die Krankheit kein Kraut gewachsen ist – weder in der Natur noch bei der Pharmaindustrie – und man sie einfach durchstehen bzw -liegen muss. Offenbar hat er recht, zumindest fast: Eine Grippe dauert sieben Tage, wenn man nichts nimmt oder ein Placebo, und sie dauert 6,3 Tage, wenn man einen Neuraminidase-Inhibitor nimmt.

Der bekannteste ist von Roche und heißt Tamiflu, er kam 1999 auf den Markt und verkaufte sich zunächst eher schleppend. Aber dann, 2005, drohte aus Asien eine Pandemie, Vogelgrippe, viele Staaten deckten sich für ihre Bürger ein, auch Private horteten. Die Pandemie kam nicht, es gab bald Tamiflu-Entsorgungsprobleme, dann drohte 2009 die nächste Pandemie, aus Mexiko, Schweinegrippe. Die Verkaufzahlen schnellten auf ein Allzeithoch, über die Jahre setzte Roche Tamiflu für 18 Milliarden Dollar ab.

Es sah auch alles gut aus: Tamiflu kann die Dauer der Erkrankung verkürzen, es kann zudem Komplikationen und Spitalsaufenthalte vermeiden. Das sah nicht nur Roche so, in einer Metaanalyse 2003 – auf die stützten Staaten ihre Einkaufsentscheidung –, das bestätigt 2006 die Cochrane Collaboration, ein internationales Netzwerk von Ärzten, das der Wirkung von Medikamenten in der Fachliteratur nachgeht und seine Befunde publiziert.

Kurz darauf bekam Cochrane Post von einem japanischen Kinderarzt, Keiji Hyashi, er machte auf die Datenlage aufmerksam: Roche hatte sich in seiner Metaanalyse auf zehn Studien gestützt, aber acht davon waren überhaupt nie publiziert worden, sondern lagerten bei Roche.

Alle Studien veröffentlichen!

„Ich hatte Roche vertraut, und ich lassen nicht gern einen Narren aus mir machen.“ So erinnert sich heute Tom Jefferson (Cochrane) an den Krieg, der dann begann (Sciencenews, 9. 4.). Cochrane analysierte 2009 wieder – und kam zu dem Befund, dass in den öffentliche zugänglichen Studien nichts auf geringere Komplikationen/Spitalsaufenthalte deute –, zugleich eröffnete die Gruppe in Zusammenarbeit mit dem British Medical Journal (BMJ) eine breite Kampagne: Alle klinischen Tests, auch die von Firmen durchgeführten, sollten öffentlich zugänglich werden.

In seinem Fall sagte Roche das 2009 zu, es zog sich bis 2013. Nun hat Cochrane alles gesichtet und im BMJ publiziert (9. 4.): Mit Tamiflu geht es Grippekranken etwas besser – Erwachsene werden eben 0,7 Tage früher gesund –, aber im Gegenzug gibt es auch leicht erhöhte Nebenwirkungen, Schwindel etwa und Erbrechen. Sukkus: „Wir glauben, dass unser Befund Grund dafür bietet, die Lagerhaltung von Oseltamivir (so heißt der Wirkstoff von Tamiflu) infrage zu stellen, ebenso seine Aufnahme in die Liste der essenziellen Medikamente der Weltgesundheitsorganisation WHO und auch seine Verwendung in der klinischen Praxis als Grippemittel.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2014)

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