Hat Musik mit Sex zu tun? Und was?

FOTOPROBE VOLKSOPER ORPHEUS IN DER UNTERWELT�
FOTOPROBE VOLKSOPER ORPHEUS IN DER UNTERWELT�(c) APA (BARBARA GINDL)
  • Drucken

Wozu Musik da ist, ist ungeklärt. Manche halten sie für entbehrliches Beiwerk, Darwin vermutete eine Rolle in der Sexualwahl. Frauen bevorzugen an fruchtbaren Tagen andere Musik.

Musik ist und hat eine Macht, der nichts standhält, nicht die Mauern von Jericho, nicht das eisige Herz des Herrn über das Todesreich. Das gilt generell, alle Zeiten und Kulturen hatten und haben Musik – das älteste bekannte Instrument, eine Flöte aus Knochen eines Schwans, wurde vor 35.000 Jahren auf der Schwäbischen Alb gespielt –, aber wozu sie da ist, das weiß man nicht, zumindest nicht in den einschlägigen Wissenschaften: „Da weder die Freude an ihr noch die Fähigkeit, sie zu erzeugen, auch nur die geringste Bedeutung für sein (des Menschen) Alltagsleben hat, muss sie zu den größten Mysterien zählen, mit denen er ausgestattet ist.“ So formulierte es Darwin, der selbst gern am Klavier saß. Aber er plauderte auch gern, mit Familie und Kollegen, und in der Duplizität liegt das Problem: Nur der Mensch hat zwei akustische Ausdrucksmöglichkeiten, die des Gesangs bzw. der Musik und die der Sprache.

Singen können andere auch, die Meeressäuger und viele Vögel. Aber für sie ist das ihre Weise der Kommunikation – für uns ist das die Sprache –, und sie reagieren auf Musik auch nicht wie wir: Uns kann sie nicht nur mental überwältigen – bei Depressionsgefahr empfiehlt sich Schubert eher nicht –, uns fährt sie auch in die Glieder, zu manchen Stücken muss man einfach tanzen (zu anderen: marschieren). Vergleichbares gibt es in der Tierwelt nur bei Papageien, und der Sinn ihres Tanzens ist so rätselhaft wie der des unseren. Singvögel tanzen nicht, aber bei ihnen ist immerhin klar, warum sie – meist die Männchen – singen: Es geht gegenüber anderen Männchen um Reviere, es geht vor allem und gegenüber Weibchen darum, via Gesang die Qualität der Gene zu präsentieren.

„Auditory cheesecake“?


Zu dieser Lösung – sexuelle Selektion – neigte bei den Menschen auch Darwin, er verglich Musik mit dem Schwanz der Pfauen, war aber damit nicht zufrieden und verfolgte es nicht weiter. 150 Jahre später wird es immer noch debattiert, dissonant und oft im Crescendo: Die dickste Pauke schlug 1997 Psychologe Steven Pinker, für ihn ist Musik ein „auditory cheesecake“, so angenehmes wie entbehrliches Beiwerk: „Verglichen mit Sprache, Sozialverhalten und physischem Know-how könnte Musik aus unserer Art verschwinden, und der Rest des Lebens wäre praktisch unverändert.“ – Dafür spricht etwa, dass die fünf Prozent der Menschen, die unter „angeborener Amusie“ leiden – sie hören Musik nicht als Musik, weder von der Melodie noch vom Rhythmus her, der prominenteste Vertreter war Che Guevara –, sich so gut fortpflanzen wie alle anderen auch, die Evolution hat sie nicht verdrängt. Dagegen spricht, dass immer noch Ständchen gesungen bzw. Breakdances aufgeführt werden und jeder Rapper seine versammelte Männlichkeit herausrotzt bzw. -rhythmisiert.

Aber das gehört zu den eher flüchtigen Beobachtungen der „anecdotal evidence“. Lässt sich die Bedeutung der Musik nicht systematisch klären, experimentell? Benjamin Charlton (Brighton) hat einen neuen Anlauf unternommen (Proc. Roy. Soc. B, 23. 4.): Er hat via Internet 1465 Frauen rekrutiert und ihnen vier kurze Musikstücke zu Gehör gebracht, die waren – mithilfe der Piano-App „Garageband“ von Apple – auf unterschiedlichen Komplexitätsstufen gebaut, von einfachsten Weisen (Viervierteltakt, zwei Töne: C und F, keine Synkopen) bis zu klanglich und rhythmisch hoch verästelten.
Dann hat er die Frauen gefragt, auf welches Stück bzw. welchen (fiktiven) Komponisten sie bei der Sexualwahl setzen würden. Zugleich hat er erhoben, in welchem Stadium ihres Zyklus die Frauen waren: Die, die gerade ihre fruchtbaren Tage hatten, bevorzugten die komplexere Musik, die anderen wählten die leichteren Weisen. Ähnliche Differenzen in der Wahrnehmung kennt man schon vom weiblichen Blick: An fruchtbaren Tagen wählen sie eher Männer, deren Gesichter gute Gene versprechen – von Testosteron geprägte, harte, kantige –, ansonst setzen sie auf weiche, in denen geschrieben steht, dass ihre Träger eine Familie gut versorgen würden.

„Klavier spielen können!“


Man müsste also Klavier spielen können, wer Klavier spielt, hat Glück bei den Frau'n? Ja, es geht speziell um Musik, es geht nicht generell um Kreativität. Das zeigte ein Kontrollexperiment mit gemalten bzw. auf PC-Schirmen generierten Bildern, auch die gab es in vier Komplexitätsstufen, bei denen zeigte sich nichts. „Das ist eine überzeugende Unterstützung für Darwins Annahme, ,dass musikalische Noten und Rhythmen von den männlichen oder weiblichen Vorläufern der Menschen erworben wurden, um das andere Geschlecht zu bezaubern‘.“

Das schließt Charlton aus seinem Befund, aber der deckt, wenn überhaupt, natürlich nur die halbe Wahrheit ab. In der nächsten Runde will der Forscher das Gegenstück erkunden, also die Wirkung der Musik auf Männer: Man weiß schon länger, dass Frauen in ihren fruchtbaren Tagen ihre ganze Ausstrahlung verändern, ihr Verhalten, auch ihre Stimmlage, nach oben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.