Das ewige Rom stürzte nicht über Blei

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ITALY-COLOSSEUM(c) EPA (Maurizio Brambatti)
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In Hafen-Sedimenten ist archiviert, wie hoch die Bleibelastung des Trinkwassers über die Jahrhunderte war. Sie war hoch, aber nicht gesundheitsgefährdend.

Am 24.August 410 öffnete irgendwer die Porta Salaria in der Stadtmauer Roms, Alarichs Goten drangen ein. 800 Jahre lang hatte niemand die Metropole besetzt, nun fiel sie an einem Tag. Warum, ist umstritten, äußere Faktoren wie die Völkerwanderung spielten mit, innere auch, die fasst man oft unter dem Stichwort Dekadenz zusammen. Zu der zählt auch ein Faktor bzw. ein chemisches Element, der bzw. das 1909 erstmals ins Spiel gebracht wurde: Blei. Die römische Aristokratie habe das giftige Schwermetall in solchen Mengen zu sich genommen, dass sie fortpflanzungsmüde geworden sei.

Davon wurde allerdings von den Römern selbst nichts überliefert. Und das, obgleich sie alles aufschrieben, etwa auch, dass von Blei im Wasser und der Nahrung eher abzuraten sei: Der Architekt Vitruv empfahl, das von weit über Aquädukte hergebrachte Trinkwasser nicht durch Rohre aus Blei (fistulae) zu leiten, erstens schmecke es nicht, und zweitens sehe man an der bleichen Haut der Arbeiter in der Bleiindustrie, dass es nicht gesund sein könne.

Die Arbeiter mussten in den Dämpfen leben, reichere Römer holten sich ihre tägliche Dosis mit ihrem Genuss, zwei Liter Wein waren nichts Besonderes, gesüßt wurde er mit „sapa“, einem sirupartigen Konzentrat von Traubenmost, das in Bleigefäßen gekocht und hochgradig kontaminiert wurde. Auch sonst war Blei überall, in Schminke, in der Glasur von Gefäßen. All das brachte den US-Arzt Jerome Nriagu 1983 zur Überzeugung, Rom sei an chronischer Bleivergiftung zugrunde gegangen, und der Metropole der Neuzeit, den USA, drohe das gleiche Schicksal.

Nebeneffekt: Bleifreies Benzin

Nriagu publizierte das in der wichtigsten Fachzeitschrift – dem „New England Journal of Medicine“ –, das Echo war enorm, der Widerspruch auch (sein Ziel erreichte Nriagu, der Artikel leitete das Verbot der Verbleiung von Benzin ein): In den Bleirohren der Wasserleitungen hätten sich bald schützende Schichten abgesetzt, und so viel gesüßten Wein hätten die Römer nun auch wieder nicht getrunken.

Wie viel sie getrunken haben, lässt sich nicht mehr eruieren, aber vom Trinkwasser haben sich Spuren erhalten, in den Sedimenten eines Hafens, den Kaiser Claudius anno 42 bei Rom errichten ließ, und in denen eines Verbindungskanals zum Tiber. Dort hat Hugo Delile (Lyon) das alte Blei durchgemessen, man kann an Isotopen unterscheiden, was von Natur her im Wasser war – aus dem Gestein des Apennin –, und was durch die Rohre dazukam, ihr Blei wurde von weit her importiert, aus Spanien, aus England: Der Bleigehalt war zwar zur Hoch- und Endzeit Roms vierzig Mal so hoch wie die natürliche Hintergrundbelastung, aber für eine Bleivergiftung sei das zu wenig gewesen (Pnas, 21.4.).

Delile konnte den Sedimenten auch ablesen, was nach dem Fall der Stadt geschah, der Bleigehalt sank abrupt, die Wasserleitungen verfielen. Dann stiegen sie wieder: Im Mittelalter waren sie mehr als doppelt so hoch wie in der Antike.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2014)

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