In Tschernobyl zwitschern die Vögel munterer als anderswo

(c) EPA (SERGEY DOLZHENKO)
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Tiere können sich an dauerhafte Strahlung gewöhnen und sogar von ihr profitieren, das zeigt sich zum 28. Jahrestag der AKW-Explosion.

Wie lange ist Tschernobyl her, seit wann läuft das unfreiwillige Experiment einer großflächig verstrahlten Region? Morgen ist der 28. Jahrestag, am 26. April 1986 flog das AKW in die Luft. Zwei Tage später war die Wolke auch über Österreich, und vordem harmlose Schwammerln wurden gemieden wie die Pest. Vielleicht wäre es besser gewesen, man hätte beherzt zugegriffen: Radioaktivität in schwachen Dosen schwächt den Körper nicht, sondern stärkt ihn. Das folgt ganz generell der Weisheit des Paracelsus – „All Ding' sind Gift und nichts ist ohn' Gift, allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist“ –, davon lebt der Heilstollen in Bad Gastein mit seinem Radon. Und nun kommt Bestätigung, ausgerechnet aus Tschernobyl und ausgerechnet von Anders Møller (Paris).
Der nutzt seit Langem fast im Alleingang die Chance des Desasters, er dokumentiert die Auswirkungen der Langzeitstrahlung auf die Natur, vor allem auf Vögel, die sah er stark leiden, bei Heuschrecken und Hummeln bot sich ein ähnliches Bild: Radioaktive Strahlung führt in Zellen zur Bildung aggressiver Sauerstoffmoleküle („reactive oxygene species“), das bringt den Körper in oxidativen Stress, er kann ihn mildern, mit Antioxidantien, aber die gehen bald zur Neige.

Strahlung schwächt? Strahlung stärkt!

Aber 2011 sah Møller plötzlich etwas anderes: Nur manche Vögel litten, die mit buntem Gefieder; den anderen ging es gut (Oecologia 165, S. 827). Der Spur ist Møller zusammen mit Ismael Galván (Spanish National Research Council) nun nachgegangen: Die beiden haben das Ergehen von 16 Vogelarten in der Region erkundet, der Befund widerspricht den Erwartungen (Functional Ecology, 25. 4.): „Frühere Studien frei lebender Tiere in Tschernobyl zeigten, dass chronische Strahlenbelastung oxidative Schäden anrichtete und die Vorräte an Antioxidantien erschöpfte“, erklärt Galván: „Wir haben das Gegenteil gefunden – dass die Gehalte an Antioxidantien mit steigender Hintergrundstrahlung stiegen, und dass der oxidative Stress schwächer wurde. Das zeigt erstmals, dass Tiere sich an Radioaktivität anpassen können.“
Wie das? Schon Mithridates VI. wollte sich gegen Giftmord dadurch wappnen, dass er steigende Dosen Arsen schluckte. Die Kur gelang (und wie: Als Mithritades sich in verzweifelter Lage mit Arsen umbringen wollte, wirkte es nicht, er musste sich von Getreuen erstechen lassen). Man kann sich also an Gifte gewöhnen, man kann sie auch zum Segen anwenden, das bemerkten zwei deutsche Forscher 1888 an Hefe – die gedieh in leicht giftigem Milieu besser –, nach ihnen wurde das Phänomen „Arndt-Schulz-Gesetz“ genannt, später „Hormesis“. Die zeigte ihre Macht – schwache Dosen bereiten auf starke vor und stärken den Körper – bald bei vielen Chemikalien und auch bei Strahlung.

Bunte Farben kosten Antioxidantien

Dort ist das Phänomen allerdings auch umstritten – für Strahlenschützer gibt es keine „sicheren“ Dosen –, die Vögel in Tschernobyl werden das wohl auch nicht ändern. Aber warum geht es den dunklen besser und den bunten schlechter? Møller/Galván vermuten die unterschiedlichen Pigmente dahinter: Die Synthese des bunten Phäomelanin braucht ein Tripeptid, Glutathion, und das ist zugleich ein wichtiges Antioxidans.

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