Mathematik: Laut war er jedenfalls nicht

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Symbolbild.(c) DiePresse (Michaela Bruckberger)
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Der Urknall ist kein geschichtliches Ereignis, sondern ein theoretisches Konzept.

Aus historischer Sicht mag es interessant sein, dass die Theorie des Urknalls erst 1948 durch den russisch-amerikanischen Physiker und Bohr-Schüler George Gamow populär wurde. Eigentlich ergab sie sich schon aus der Allgemeinen Relativitätstheorie: Einstein versuchte ihr zwar mit der Einführung einer „kosmologischen Konstanten“ zu entkommen (was er später „die größte Eselei“ seines Lebens nannte), aber 1922 hat Alexander Friedmann Lösungen der Einsteingleichungen ohne kosmologische Konstante für das Universum berechnet und gezeigt, dass es ihnen zufolge ex- oder implodiert. Von da war es nicht weit zur Vorstellung des Priesters und Astronomen Georges Lemaître, das Weltall von einem Ur-Atom ausgehen zu lassen.

Aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg sprach man vom „Big Bang“. Er stellte das schöne Gegengewicht zum hässlichen Knall der eben abgeworfenen Uranbombe dar; Edward Teller, Freund und Kollege Gamows, arbeitete fieberhaft an dem noch tödlicheren Knall der Wasserstoffbombe. Da ist es doch tröstlich zu wissen, dass die Physik auch von einem kreativen und zugleich weitaus gigantischeren Knall zu berichten weiß, der den ganzen Kosmos hervorbringt.

Hell war er auch nicht...

Allerdings: Laut war dieser Knall nicht, denn es gab damals noch keine Luft, die seinen Schall übertragen hätte können. Er war auch nicht hell, weil es damals kein Dunkel gab, das er mit seinem Strahlen erfüllen hätte können. Und am allerwenigsten war er ein geschichtliches Ereignis. Die Ermordung Cäsars schon, denn sie fand im Umfeld eines Vorher und Nachher statt, sie hat sich faktisch, aber nicht zwingend notwendig abgespielt, und man kann in Gedanken der Illusion nachgeben, man wäre als beobachtendes Mäuschen in einem Schlupfloch des Senatsgebäudes dabei gewesen. All dies ist beim Urknall widersinnig.

Der Urknall ist „wirklich“, insoweit die von seiner Annahme abgeleiteten Folgerungen einen Kosmos zu konstruieren erlauben, wie ihn die Astronomie heute beschreibt. Wobei man anscheinend sehr nahe, aber nie ganz an den geheimnisvollen Anfang herankommt. Jüngst erstellte spekulative Rechnungen von Martin Bojowald (Penns) deuten an, dass die Einbeziehung der Quantentheorie in die Zustandsgleichung des sehr frühen Universums zu einer Art „kosmischer Vergesslichkeit“ führt, die uns über das Aussehen des Kosmos davor ewig im Dunklen lassen wird.

...aber die Geometrie erfasst ihn

Die Mathematik liefert der Kosmologie das Handwerkzeug. Doch die ganze bunte Vielfalt der physikalischen Welt auf Mathematik zu reduzieren ist womöglich ein zu aufwendiges Unterfangen. Obwohl: David Hilbert hat genau das als sechste Aufgabe seiner berühmten 23 Probleme gestellt. Jedenfalls kann die Mathematik einen Aspekt vom „Big Bang“ erfassen: Denn im Urknall ist auch der Anfang vom Raum enthalten. Naiv gesprochen: Erst „nach“ ihm ist Raum als solcher da. (Genauer müsste man von der „Raumzeit“ sprechen, das ist hier nicht entscheidend.) Man entwickelt eine Ahnung vom „Big Bang“ – nicht von der lauten Explosion, sondern vom theoretischen Konzept –, wenn man fragt, wie der Raum zu seinem Wesen gelangt. Dies bedeutet, die Bedingungen der Möglichkeit von Geometrie auszuloten. Dies ist Hilbert geglückt, deswegen wagte er auch, sein sechstes Problem zu formulieren. Aphoristisch hat Erwin Chargaff den Gedanken aufgegriffen und den Urknall als Mathematik enttarnt: „Mathematik ist die Erinnerung der Menschheit an die Erschaffung der Welt.“

Rudolf Taschner spricht am 18.Juli um 19Uhr im Auditorium des MUMOK über die „Idee der Geometrie“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2007)

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