Orientalische und germanische Symbolik

Palmkätzchen – Europas Ersatz für echte Palmwedeln – sind seit dem 8. Jahrhundert nachweisbar.

Neben Eiern und Hasen sind Palmkätzchen das zentrale Utensil des österlichen Brauchtums. In der Bibel wird berichtet, dass Jesus mit Palm- und Ölbaumzweigen gehuldigt wurde, als er nach Jerusalem einzog. Diese gibt es in Mitteleuropa freilich nicht – also musste ein Ersatz her, um diese Überlieferung rituell nachvollziehen zu können. Aber warum müssen ausgerechnet Abermillionen Weiden-Zweige dafür ihr Leben lassen? Zum einen gibt es einen biologischen Grund: Salweiden zählen zu den ersten Pflanzen, die nach dem Winter blühen. Damit eignen sie sich gut als Sinnbild des Sieges, der Wiedergeburt und der Unsterblichkeit – das ist die antike Symbolik der Palme.

Zum anderen lassen sich Palmkätzchen auf heidnisches Gedankengut zurückführen – wie so oft bei religiösen Bräuchen: Weiden waren in der germanischen Überlieferung der Totenbaum. Einzelne Zweige lassen sich wiederum auf die heidnische Lebensrute zurückführen. Seit dem achten Jahrhundert werden Weidenzweige christlich geweiht. Diese treten regional in unterschiedlicher Gestalt in Erscheinung: Manchmal als sortenreine Palmbuschen, dann wieder vermischt mit bis zu sechs anderen Pflanzenarten (wie Wacholder oder Buchs), bisweilen geschmückt mit Hobelspänen oder Brezeln. In alpinen Gefilden werden sie auf bis zu zehn Meter hohe Palmstangen gebunden.

Drei Palmkätzchen gegen Zahnweh

Den geweihten Zweigen wird magische Wirkung zuerkannt: Sie sollen Schäden von Haus und Bewohnern abhalten – bis heute werden Buschen hinter Kruzifixe gesteckt. Sie wurden von Bauern in Ställen aufgehängt oder auf Felder gesteckt – zur Abwehr von Blitzschlag. Selbst als Medizin dienten sie: Isst man drei einzelne Palmkätzchen (nüchtern vor Sonnenaufgang), soll das gegen Fieber, Zahn- und Halsweh helfen.

Das Material, aus dem die biblisch-sinnbildlichen Palmzweige bestehen, ist jedenfalls in der gesamten Kirchengeschichte zweitrangig: Traditionell wird auch einem frisch gekrönten Papst mit Palmwedeln gehuldigt – in Rom werden diese Fächer aus Straußenfedern gefertigt.

Palmkätzchen sind freilich nicht auf den Palmsonntag beschränkt. In manchen Regionen werden sie auch am Gründonnerstag oder am Karfreitag geschnitten und in Vasen gewässert. Auch zum Osterfest spielen sie eine Rolle: in Form von mit ausgeblasenen Eiern geschmückten Zweigen, die dekorativ in Bodenvasen stecken. Diese Osterbäume sind übrigens recht jungen Datums: Sie wurden erst in den 1960-er Jahren von deutschen Frauenzeitschriften propagiert.

Und: Am Aschermittwoch werden die Palmzweige des Vorjahrs mancherorts verbrannt, mit der Asche wird Gläubigen ein Kreuz auf die Stirn gezeichnet. ku

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2008)

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