3-D-Gehirne aus dem Labor

Ein zerebrales Organoid in mikroskopischer Querschnittaufnahme.
Ein zerebrales Organoid in mikroskopischer Querschnittaufnahme.ÖAW/IMBA
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Für ihre herausragende Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin erhält Madeline Lancaster diese Woche den renommierten Eppendorf Award.

Als ich begann, hier in Wien zu arbeiten, hätte ich nicht einmal davon geträumt, das zu tun, was ich heute mache“, sagt Madeline Lancaster. Die Erzählungen der jungen Wissenschaftlerin über ihre Forschungsarbeit klingen tatsächlich wie aus einem Traum. Lancaster ist am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig. Unter der Leitung von Jürgen Knoblich gelang es ihr, aus menschlichen Stammzellen in einer Organkultur dreidimensionale Gehirnmodelle zu entwickeln.

Ihre Arbeit wurde nicht nur in der renommierten Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht. Am 22. Mai wird Madeline Lancaster nun auch mit dem mit 15.000 Euro dotierten Eppendorf Award for Young European Investigators ausgezeichnet. Dieser international hoch angesehene Preis honoriert herausragende Leistungen junger Wissenschaftler auf dem Gebiet der biomedizinischen Forschung. „Die Nachricht vom Preis kam für mich völlig unerwartet, denn soweit ich weiß, hat diesen noch niemand ohne eigenes Labor erhalten“, sagt sie. Kommende Woche reist Lancaster nach Heidelberg, um die Auszeichnung entgegenzunehmen und über ihre Forschungsarbeit zu berichten.

Die gebürtige Amerikanerin promovierte 2010 an der University of California in San Diego, wo sie an der Gehirnentwicklung von Mäusen arbeitete. Danach kam sie nach Wien und begann im Labor von Jürgen Knoblich, dem stellvertretenden wissenschaftlichen Direktor des IMBA, zu forschen.

Dreidimensionale Systeme. Die ursprüngliche Idee war, neuronale Stammzellen in zweidimensionalen Lagen herzustellen. Doch dann versuchte Lancaster ein 3-D-Zellkultursystem zu produzieren – und es gelang. Für die Herstellung der nur wenige Millimeter großen Miniaturgehirne, sogenannter zerebraler Organoide, wurden induzierte pluripotente Stammzellen verwendet (siehe Lexikon). Die Wissenschaftler sind in der Lage, den Stammzellen ein Signal zu geben, worauf diese Neuronen, also Nervenzellen, entwickeln. In der Folge werden die Zellen in ein spezielles Gel mit Nährlösung transferiert und in einem sich drehenden Bioreaktor mit besonders vielen Nährstoffen und Sauerstoff versorgt. Auf diese Weise können sie äußerst gut gedeihen.


Wenige Millimeter Gehirn. Die endgültige Größe der zerebralen Organoide ist sehr variabel. Die maximale Größe von vier Millimetern können sie nach zwei Monaten erreichen; in diesem Stadium sind sie mit dem Gehirn eines neun Wochen alten Embryos vergleichbar. Nach einem Wachstum von 20 bis 30 Tagen können verschiedene Regionen identifiziert werden, darunter etwa die Großhirnrinde. Da der Blutkreislauf fehlt, sind die Organoide in ihrem weiteren Wachstum limitiert. Das Ziel dieser Methode ist jedoch nicht die Herstellung größerer Modelle, sondern die frühe Entwicklung des Gehirns zu untersuchen.

Wegen der Komplexität des menschlichen Gehirns ist es schwierig, verschiedene Erkrankungen des Gehirns in lebendigen Organismen wie etwa der Maus zu erforschen. Für Forschungen zur Mikrozephalie etwa (unterdurchschnittliche Größe des Schädels, die zu geistiger Beeinträchtigung führt) sind Nagetiere ungeeignet, weil sie keine kleinen Gehirne entwickelten. Weitere Krankheiten, die untersucht werden sollen, sind die Makrozephalie (überdurchschnittliche Größe des Schädels) und in Zukunft Autismus.

Mit ihren 31 Jahren hat Madeline Lancaster schon jetzt eine herausragende Karriere hinter sich. In naher Zukunft wird sie die Möglichkeit bekommen, ihr eigenes Labor zu leiten. Daneben ist sie Mutter einer 16 Monate alten Tochter – das Manuskript über ihre Forschung wurde nur ein Monat vor der Geburt bei „Nature“ eingereicht und ein paar Wochen danach angenommen.

Forschen von Zuhause. Während der gesamten Schwangerschaft und auch kurz nach der Geburt arbeitete Lancaster weiter an ihrer Forschung, größtenteils von Zuhause aus. Nach vier Monaten übernahm ihr Mann die Kinderbetreuung, mit sieben Monaten konnte ihr Baby den institutseigenen Kindergarten besuchen. Der Preis entlohnt für vieles und motiviert zum Weitermachen. Zerebrale Organoide sollen künftig helfen, neue Einblicke in die Pathogenese von neurologischen Erkrankungen zu gewinnen. Ein weiteres Ziel ist, die Evolution der Gehirngröße des Menschen zu untersuchen und der Frage nachzugehen, welche Vorgänge in unserer Gehirnentwicklung dazu führen, dass das menschliche Gehirn – im Vergleich zu den Tieren – so groß ist.

Lexikon

Stammzellen sind die Vorläuferzellen für alle Zellen in unserem Körper. Sie können sich einerseits endlos teilen und sich andererseits zu bestimmten Zelltypen spezialisieren.

Induzierte pluripotente Stammzellen sind Körperzellen, die durch den Einbau von Genen zu Stammzellen verjüngt werden. Sie haben ein hohes medizinisches Potenzial.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2014)

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