Psychopathie: „Das männliche Muster, ins Extrem übertrieben“

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Es stimmt, Autismus hat mit Hormonen zu tun, aber nicht so einfach, wie einst Hans Asperger dachte.

„Die autistische Persönlichkeit ist eine extreme Variante der männlichen Intelligenz. Sogar in der normalen Variation finden wir typische Geschlechtsunterschiede in der Intelligenz. Beim autistischen Individuum ist das männliche Muster ins Extrem übertrieben.“ So fasste der österreichische Kinderarzt Hans Asperger 1944 die Charakteristika der Patienten zusammen, die er „autistische Psychopathen“ nannte, später erhielt das Leiden seinen Namen – Asperger-Syndrom –, es gehört ins breite Feld der „Autismus-Spektrum-Störungen“, die generell die Fähigkeit zum sozialen Kontakt beeinträchtigen.

Wo das herkommt, ist unklar, erst wurden lieblose „Kühlschrankmütter“ verantwortlich gemacht, dann waren Gene Kandidaten, inzwischen ist zumindest klar, dass in der frühen Entwicklung des Gehirns – noch im Uterus – etwas schiefläuft: Autisten haben im präfrontalen Cortex 67 Prozent mehr Zellen – sie haben also paradoxerweise gerade dort zu viel, wo die höheren Fähigkeiten sitzen, auch die zu Sprache und Sozialkontakt –, sie haben zum Teil auch relativ mehr/weniger von manchen Zelltypen, sie haben andere Verbindungen und Aktivitäten. Und das in vielen Gehirnen – etwa ein Prozent aller Menschen hat das Leiden –, vor allem aber in männlichen Gehirnen: Die sind zehnmal so häufig betroffen wie weibliche.

„Kleine Professoren“

Auf diese Spur setzte sich in den Neunzigerjahren Simon Baron-Cohen (Cambridge), er entdeckte Asperger wieder – der hatte auf Deutsch publiziert –, er erfand dessen Rad neu und nannte es „extreme male brain“: „Weibliches Denken“ versetzt sich eher in andere hinein, „männliches“ bringt die Welt in Regeln und systematisiert sie, beim Autismus bis zum Extrem, Asperger beschrieb seine Patienten als „kleine Professoren“. Hinter dem „männlichen“ und „weiblichen“ stehen Hormone, die die Entwicklung des Gehirns steuern, Baron-Cohen konzentrierte sich auf das männliche Sexualhormon Testosteron und entwickelte die Hypothese, hinter Autismus stehe zu viel Testosteron im Uterus.

Aber wie soll man das testen? In Dänemark werden seit den Siebzigerjahren Proben von Blut und Fruchtwasser werdender Mütter gesammelt, in Dänemark wird auch ein Psychiatric Central Register geführt, Baron-Cohen hat beides für die Geburtsjahrgänge 1993 bis 1999 ausgewertet, dem Register entnahm er die Zahl der Autismusfälle, die Fruchtwasserproben analysierte er auf Testosteron, aber vorsichtshalber nicht nur darauf, er sah noch auf drei andere Sexualhormone und auf das Stresshormon Cortisol: Die Gehalte von allen waren höher im Fruchtwasser der Föten, die später Autismus entwickelten (Molecular Psychiatry, 3.6.). Das ist auf der einen Seite ein klarer Hinweis, dass Hormone mitspielen, es bringt auf der anderen Seite Fragen en masse: Man weiß, dass Cortisol und die Sexualhormone im Verbund stiegen, aber man weiß nicht, was Ursache ist und was Wirkung. Steht hinter Autismus Stress? Oder sind es die Sexualhormone? Oder sind es Umwelthormone, irgendwelche Chemikalien, die wie Sexualhormone wirken?

Oder ist es ganz anders? Bei allen Sexualhormonen ist ein und dasselbe Enzym mit im Spiel, liegt es an dem? Baron-Cohen kann es nicht entscheiden, er will auch keine Fruchtwasseranalysen zur Frühdiagnose: Sein Befund gilt nur im großen Durchschnitt, es gab Ausreißer nach beiden Seiten. Nur in einem ist er sicher, er warnt dringlich vor „Therapien“, die die Sexualhormone von autistischen Kindern blockieren wollen: Wenn die auf der Welt sind, ist es dafür zu spät, das Gehirn nimmt seinen Schaden schon im Mutterleib.

AUSSTELLUNG IM OSTLICHT

David LaChapelle. Sein Werk ist eine Art Weiterentwicklung der Pop Art, wird mit Arbeiten von Jeff Koons, Damien Hirst verglichen. Die Galerie Ostlicht zeigt bis 14.9. die Schau „Once in the Garden“, Tableaus mit Prominenten, Blumen, Industrie des 1963 geborenen Künstlers. Weitere LaChapelle-Ausstellungen waren in London (Barbican Gallery), Washington D. C. (National Portrait Gallery), Connecticut, New York. Foto-Show im Internet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2014)

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