Vorbild Biene: Wenn Roboter »schwärmen«

(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
  • Drucken

Im EU-Projekt CoCoRo untersuchten Zoologen der Universität Graz, ob sich das Verhalten von Honigbienen als Vorbild für industrielle Anwendungen nutzen lässt. Künftig könnten Roboter sogar nach Blackboxes von abgestürzten Flugzeugen suchen.

Die kleinen Roboter schwärmen unter der Wasseroberfläche aus, orientieren sich, folgen einem Signal, versammeln sich nach und nach an einer bestimmten Stelle.

Ums Schwärmen geht es bei dem Projekt im Artificial Life Laboratory am Institut für Zoologie der Uni Graz: Ausgehend vom Sozialverhalten der Honigbienen und der Lebensweise des gesamten Bienenvolks wurde das Schwarmverhalten auf das Bewegungsszenario der hoch empfindlichen 29 cm langen, 10 cm breiten und 7 cm hohen schwimmenden Apparaturen, die sich wie kleine U-Boote bewegen, übertragen. Projektleiter Thomas Schmickl, der den Algorithmus „Beeclust“ entwickelt hat, hat kürzlich für sein Roboterprogramm den steirischen Forschungspreis für Simulation und Modellierung, Kategorie Grundlagenforschung, erhalten.

Bienen als Vorbild. Ausgangspunkt war das EU-Projekt I-Swarm an mehreren technischen Universitäten. Die EU forderte aber die Einbindung eines Zoologie-Instituts, woraufhin 2004 der Bienenforscher Carl Crailsheim von der Uni Graz kontaktiert wurde. Crailsheim kennt das Verhalten der Bienen in ihrem Stock bis ins Detail. Sie sind ständig in Bewegung und suchen die für sie angenehmste Temperatur. Kommen sie an die Stockwand, so weichen sie dieser augenblicklich aus, sie kehren um. Stoßen sie an eine andere Biene oder auf Brutzellen, dann verweilen sie für einen Augenblick bei diesen. Die Fragestellung lautete nun: Kann man das schwarmintelligente Verhalten der Bienen für technisch-industrielle Anwendungen nutzen?

Lockende Lichtquelle.
Im Versuch wurden vorerst hundert kleine, 3 x 3 x 3 cm große Roboter so ausgestattet, dass sie, ausgehend von einer Lichtquelle, auf die hellste Stelle im Übungsgebiet reagieren. Die Sensoren der Roboter messen Licht und Wärme. Knapp vor der Begrenzung des Übungsareals kehren sie – wie die Bienen im Stock – um. Stoßen sie aber auf einen anderen Roboter, dann bleiben sie bei diesem, je nach dessen Lichtintensität, kurz, etwas länger oder sehr lang stehen. Dazu Crailsheim: „Mit diesem Algorithmus haben wir das Verhalten der Bienen im Stock nachempfunden.“

Crailsheims Mitarbeiter Thomas Schmickl setzte bei der Schwarmintelligenz an. „Viele dumme Individuen können ohne Vorwissen Intelligentes leisten“, sagt er etwas provokant. Die einzelne Biene trägt in sich nicht das Wissen, dass offene Brutwaben gewärmt und die Stocktemperatur bei 35 bis 36 Grad Celsius gehalten werden soll. Aber alle zusammen treffen die richtige Entscheidung und bewältigen die Aufgabe der Wärmeleistung. Eine Schwarmbildung könne er übrigens auch bei Menschen feststellen, etwa im Modeverhalten oder im Ausdruck der politischen Mehrheitsmeinung.

Schwänzeltanz entscheidend. Aber zurück zu den Bienen: Das Schwarmverhalten ist auch beim Schwänzeltanz, für dessen Entschlüsselung der Österreicher Karl von Frisch 1973 den Nobelpreis erhalten hat, zu beobachten. Mehrere Bienen kommen von ihren Erkundungsflügen zurück und zeigen im Stock mittels des Tanzes Richtung und Entfernung einer Honig- und Pollenquelle an. Jede ankommende Biene tanzt für sich, aber die Gruppe um sie herum beobachtet, vergleicht die Qualität des mitgebrachten Honigs und trifft schließlich die Entscheidung, welcher Tanz gewinnt, welche Blütenquelle von allen aufgesucht werden soll.

In der Beobachtung veränderte Schmickl die Aufgabe. Im Bienenstock wurde eine Wärmequelle mit 36 Grad, also der für die Bienen idealen Temperatur, aufgebaut. Nur sieben Prozent der Bienen sind Experten, sie lösen die Aufgabe, versammeln sich an dem neuen Ort. Kurz darauf folgen die anderen zuvor noch unschlüssigen Bienen. In einem zweiten Experiment wird zusätzlich eine entfernte Quelle mit 32 bis 34 Grad angeboten. Die Bienen, die sich in der Mitte der erwärmten Stellen befinden, wägen zwischen den beiden Optionen ab. Nachdem die ersten zu den 36 Grad geflogen sind, schwirren bald alle um die wärmere Stelle. In einer neuerlich veränderten Aufgabenstellung wird die 36-Grad-Lampe ausgeschaltet, die geringfügig kältere Lampe aber bleibt erhalten.

Nun vollzieht sich ein aktives Abwägen der einzelnen Bienen, bis sich dann doch fasst alle um die einzig verbliebene Wärmequelle versammeln. Für Karl Crailsheim ist dies nicht auf die Überlegung der einzelnen Biene, sondern auf die Entscheidung des „Superorganismus Bien“, also der Gesamtheit eines Volkes, zurückzuführen.

Schwimmende Roboter. Im Grazer Artificial Life Lab wurde nun im Rahmen des internationalen EU-Projekts CoCoRo (Collective Cognitive Robots) ein Unterwasserroboterschwarm entwickelt. In seinem Projekt entwirft Schmickl, der seit April 2011 das EU-Projekt koordiniert, größere schwimmenden Apparaturen, die – 20 Stück an der Zahl – zuerst wie im Trockenversuch eine Lichtquelle und dann ein magnetisches Feld ansteuern. Die mit einer Basisstation an der Wasseroberfläche verbundenen Mini-U-Boote können miteinander kommunizieren, Entscheidungen über die nächsten Bewegungsabläufe trifft aber der gesamte Schwarm. Er ist das gemeinsame Hirn. Er löst die Aufgabe, die das einzelne Objekt nicht bewältigen kann.

Als künftige Anwendungsgebiete sei, so der Uni-Forscher, der Einsatz bei Suchaufgaben in der Tiefsee, in der Raumfahrt, bei der Suche nach Bodenschätzen, nach Gas- oder Öllecks oder auch nach vermissten Personen in einem unübersichtlichen Gelände denkbar. Die neuen schwimmenden Roboter könnten in einer nächsten Entwicklungsstufe unter Wasser nach Giftmüll oder Blackboxes von abgestürzten Flugzeugen suchen.

BIENEN UND ALGORITHMEN

Der Superorganismus. Zahlreiche Bienenforscher sprechen nicht von einzelnen Bienen, sondern von dem „Superorganismus Bien“. In diesem bilden eine Königin, tausende Arbeiterinnen (im Juni bis zu 60.000) und einige hundert Drohnen eine Einheit, die gemeinsam handelt.

EU-Projekt. Seit 2011 wird das EU-Projekt CoCoRo (Collective Cognitive Robots) vom Artificial Life Lab der Karl-Franzens-Universität Graz koordiniert. Internationale Partner des FP7-Projekts sind die Scuola Superiore Sant'Anna (Italien, Roboter-Hardware), die Universität Stuttgart (D, Roboter-Hardware, Elektronik), die Universität York (GB, Betriebssystem) die Université Libre de Bruxelles (Belgien, Schwarmprogramme und die Uni Graz (Koordination, bio-inspirierte Algorithmen).

Forscherteam. Karl Crailsheim (geb. 1950) ist Universitätsprofessor am Zoologie-Institut der Uni Graz und Dekan der naturwissenschaftlichen Fakultät. Crailsheim forscht auf dem Gebiet von sozialen Systemen und Algorithmen sozialer Organismen. Thomas Schmickl (geb. 1969) begründete das Artificial Life Lab am Zoologie-Institut. Er erhielt am 5. Mai den Forschungspreis des Landes Steiermark.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Wissenschaft

Bienensterben: Forscher sollen Ursachen klären

Daten zu Neonicotinoiden und der Varroa-Milbe liegen vor.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.