Zum Mittelpunkt der Erde

Universum 'Die Kraefte der Erde (1) - Feuer'
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Wiener Wissenschaftler nutzen Quantenmechanik für die Analyse seismischer Wellen und für neue Einblicke in die innersten Eigenschaften der Erde.

Woher wissen wir, wie es im Inneren der Erde aussieht? Die tiefsten Bohrungen reichen etwas mehr als zehn Kilometer in die Erdkruste, die eine Dicke von etwa 30 Kilometern hat. Tiefer ist der Mensch noch nicht vorgedrungen, obwohl es „nur“ etwas mehr als 6000 Kilometer zum Mittelpunkt sind – eine mittlere Fernreise also. Manchmal befördern Vulkane Material von unter der Erdkruste an die Oberfläche, aber der Großteil des Erdinneren bleibt unzugänglich. Das Weltall wirkt im Vergleich dazu fast überlaufen. Physikern der TU Wien und der Uni Wien ist nun ein großer Schritt zu mehr Verständnis über das Erdinnere gelungen.

Im Inneren der Erde herrscht gewaltiger Druck, durch das Gewicht der darüberliegenden Gesteinsschichten. Das führt zu unerwarteten Eigenschaften des dortigen Materials. Das Erdinnere ist in Bewegung, nicht nur der äußere Erdkern aus flüssigem Eisen, sondern auch der Mantel, der den größten Teil der Masse des Planeten ausmacht und aus festem Gestein besteht, das aber aufgrund des Drucks nicht fest, sondern verformbar ist.

Außerdem gibt es sogenannte Phasenübergänge: Die Atome eines Feststoffs ordnen sich, je nach Druck und Temperatur, zu unterschiedlichen Gitterstrukturen an. Wie verschieden Stoffe aus demselben chemischen Element sein können, wissen wir vom Kohlenstoff, der als weicher Grafit oder, dichter angeordnet, als harter Diamant auftreten kann. Im Erdmantel ist es nicht Kohlenstoff, sondern Gestein, das vor allem Silizium, Magnesium, Eisen und Sauerstoff enthält und zu den Perowskiten gezählt wird. Mit der Tiefe steigt der Druck, der das Material zu immer neuen Gitterstrukturen zwingt.

Bei der Erforschung der gewaltigen, undurchdringlichen Einöde im Inneren unseres Planeten bedient man sich einer überraschend einfachen Informationsquelle: des Schalls. Die Erschütterungen von Erdbeben breiten sich als energiereiche Schallwellen nicht nur an der Erdoberfläche aus, sondern auch im Inneren der Erdkugel, wobei die Geschwindigkeit dieser Wellen dabei vom Material abhängt, das sie durchqueren.

Rückschlüsse auf Erdinneres. Sensible seismologische Messgeräte können auch Erdbeben auf der gegenüberliegenden Seite der Erde registrieren. Ein Erdbeben, das von genügend Messstationen registriert wurde, lässt also detaillierte Rückschlüsse auf die Dichteverteilung im Inneren der Erde zu.

Bereits 1906 schloss der britische Forscher Richard Dixon Oldham aus der Laufzeit von Erdbebenwellen, dass die Erde einen flüssigen Kern haben müsse. Inzwischen kennen wir die Schichten im Erdinneren viel besser, aber immer noch nicht vollständig. Erst 2004 wurde eine neue Schicht entdeckt, mit einer Kristallstruktur, die man bis dahin nicht im Entferntesten in Betracht gezogen hatte. Aufgrund fehlender direkter Messwerte ist man auf theoretische Berechnungen angewiesen, doch auch auf dieser Ebene gibt es Schwierigkeiten.

Konkret geht es um die erwähnten Phasenübergänge. Bisherige Methoden wie die sogenannte Landau-Theorie sind ausgereift und bewährt bei Phasenübergängen in Kristallen, funktionieren aber nur unter Annahme einiger Näherungen, die bei moderatem Druck erlaubt sind. Steigt der Druck, bricht diese Beschreibung zusammen. „Bis vor 20, 30 Jahren gab es keine Messungen in diesem Druckbereich, sodass Unzulänglichkeiten der traditionellen Theorien gar nicht weiter auffielen“, erklärt Andreas Tröster vom Institut für Theoretische Physik von der TU Wien. Um solche Drücke im Labor zu erzeugen, braucht es Geräte wie die Diamantstempelzelle, wo ein Kristall zwischen zwei Diamanten eingezwängt wird.

Nun ist Forschern um Andreas Tröster die Konstruktion einer erweiterten Theorie gelungen, die auch bei hohem Druck funktioniert. „Erste Lösungsansätze haben mein damaliger Doktorvater Wilfried Schranz und ich bereits 2003 publiziert. Allerdings erregte das Paper keine große Aufmerksamkeit, und ich konnte nicht in Wien bleiben und musste ins Ausland“, so Tröster. Nach seiner Rückkehr belebte er die alte Idee gemeinsam mit Schranz und Peter Blaha, einem physikalischen Chemiker, neu. Blaha ist auf die quantenmechanische Berechnung von Materialeigenschaften mittels sogenannter Dichtefunktionaltheorie spezialisiert und lieferte gemeinsam mit seinem Doktoranden Ferenc Karsai den fehlenden Baustein für Trösters Arbeit.

Test erfolgreich. Man hatte also eine mathematisch saubere Erweiterung der Landau-Theorie entwickelt. Um sie zu testen, berechneten die Forscher die Eigenschaften von Strontiumtitanat, einem Perowskit, der sehr gut erforscht ist und dessen Phasenübergang bei hohem Druck 2010 sehr genau vermessen wurde. Die Werte, die sie erhielten, stimmten ausgezeichnet mit den Messwerten überein.

In Zukunft will man die neuen Methoden in große geophysikalische und seismologische Modelle integrieren. Ein genaues Verständnis der Vorgänge im Erdinneren ist dabei nicht nur von akademischem Interesse: Möglichst genaue Vorhersagen über Erdbeben und Vulkanausbrüche wären wichtig, sind aber derzeit nur sehr eingeschränkt möglich. Vor den Forschern liegt also noch einiges an Arbeit.

Phasen

Materialien treten, je nach Druck und Temperatur, in unterschiedlichen Erscheinungsformen, sogenannten Phasen, auf: Fest, flüssig und gasförmig sind die bekanntesten. Es gibt aber auch „exotische“ Phasen wie superfluid oder supraleitend.

Mögliche Phasenübergänge sind Schmelzen, Verdampfen sowie Sublimieren oder Kondensieren. Auch bei festen Materialien unterscheidet man Phasen, etwa unterschiedliche Kristallstrukturen. Die Übergänge zwischen verschiedenen Phasen eines Kristalls lassen sich physikalisch durch die Landau-Theorie beschreiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.07.2014)

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