„Bei uns wird zu viel begradigt und verbaut“

Überleben. Limnologe Thomas Hein über Fließgewässer, die alle paar Kilometer von einem Kraftwerk unterbrochen sind, und deren Effekt auf die Fische.

Die Presse: Gibt es bei Fischen schon Veränderungen, die auf den Klimawandel zurückgeführt werden können?

Thomas Hein: Die gibt es tatsächlich. Es kommt zu einer Verschiebung der Fischpopulationen. Die an Kaltwasser angepassten Arten verlieren, weil die Gewässer überall wärmer werden – das ist übrigens nicht nur in Österreich so, sondern ein weltweites Phänomen.

Was heißt das konkret?

Die mittlere Temperatur der Donau bei Wien zum Beispiel ist in den vergangenen 60 Jahren um fast ein Grad gestiegen. Das liegt allerdings nicht nur daran, dass die durchschnittliche Lufttemperatur heute über ein Grad höher ist. Es leiten auch große Anlagen, vor allem Atomkraftwerke, warmes Wasser in den Fluss. Sie verschärfen also die Belastung, die es durch den Klimawandel ohnehin schon gibt, vor allem in großen Fließgewässern.

Was bedeutet das wärmere Wasser für die Fische?

Zum einen belastet es die Tiere selbst: die Jugendstadien, das Wachstum. Kaltwasseradaptierte Arten brauchen zum Beispiel einen höheren Sauerstoffanteil im Wasser. Doch je wärmer das Wasser, umso weniger Sauerstoff transportiert es.

Welche Arten sind betroffen?

Davon sind bei uns vor allem die Salmoniden betroffen, also die forellenartigen Fische: Forellen, Saiblinge, ganz besonders die bereits gefährdete Äsche, die nicht nur auf Wärme empfindlich reagiert. Bei diesen Arten ist mit höheren Temperaturen schneller eine kritische Grenze erreicht. Man kann beobachten – und mein Kollege Andreas Melcher an der Boku Wien hat das nachgewiesen –, dass sie immer weiter nach oben ausweichen.

Mit welcher Konsequenz?

Damit wird auch ihr Lebensraum kleiner. Zum anderen können jetzt natürlich warmadaptierte Fischarten, vor allem die Karpfenartigen, einwandern und Lebensräume besetzen, die früher für sie nicht geeignet waren. Und wärmeres Wasser ist nur ein Aspekt des Klimawandels. Wir müssen zum Beispiel auch mit großen Veränderungen beim Abfluss rechnen.

Sie meinen die Gletscherschmelze?

Die spielt auch eine Rolle. Die Prognosen bis 2050 zeigen aber vor allem, dass es im Winter wohl weniger Schnee, aber mehr Niederschlag, und den öfter in Form von Regen geben wird. Die Sommer dürften trockener werden. Fließt im Sommer weniger Wasser ab, erhöht das die Temperatur in den Gewässern. Hier besteht der größte Forschungsbedarf: Was bedeutet das für die Ökosysteme? Wie weit können sich Fische und andere Organismen an diese Verschiebungen anpassen? Welche Arten schaffen es, welche nicht? Und wie muss ihr Lebensraum sein, damit Anpassungen möglich sind?

Was diese Lebensräume angeht, hat Österreich noch viel zu tun, wie der Nationale Gewässerbewirtschaftungsplan NGP zeigt.

Das stimmt leider. Die Wasserqualität ist bei uns fast überall gut. Aber wir haben sehr große Defizite bei der Ausgestaltung der Gewässer, der Hydromorphologie. Das wurde lange vernachlässigt. Fließgewässer in Österreich sind im Schnitt alle paar Kilometer von einem Kraftwerk unterbrochen. Bei uns wurde und wird zu viel begradigt und verbaut, das macht die Gewässer einförmiger, flacher, den Abfluss oft deutlich schneller.

Was passiert mit den Fischen?

Fische brauchen auch natürliche Rückzugsorte. Man kann gut beobachten, wie sie sich in tieferes, kühleres Wasser zurückziehen, wenn es an der Oberfläche wärmer wird. Doch solche Bereiche fehlen in kanalisierten Abschnitten oft.

Fordert die Wasserrahmenrichtlinie der EU nicht gerade hier Verbesserungen wie den Rückbau stark begradigter Flüsse und die Renaturierung von Gewässern?

Diese Punkte sind im Maßnahmenpaket des Nationalen Gewässerbewirtschaftungsplans enthalten, ja. Und es gibt auch Verbesserungen. In den letzten Jahren wurden Fischaufstiegshilfen gebaut, damit die Fische wieder in ihre Laichgebiete wandern können. Andererseits, wenn ich mir das Ausbauprogramm der Wasserkraft ansehe, bedeutet das eine Verschlechterung. Sicher kann man die Probleme, die Kraftwerke in Ökosystemen anrichten, abmildern.

Woran forschen Sie in diesem Zusammenhang?

Der Wassercluster Lunz und Arbeitsgruppen der Boku sind zum Beispiel an einem EU-Projekt über die Auswirkungen von Schwall beteiligt, also der großen Wassermenge, die auf einen Schlag aus Wasserkraftwerken abgelassen wird, was für Ökosysteme unterhalb des Kraftwerks verheerend sein kann. Wenn wir unsere Gewässer wirklich wie von der EU gefordert in einen ökologisch deutlich besseren Zustand bringen wollen, ist das mit dem geplanten Ausbau der Wasserkraft ohne Rücksicht auf sensible Bereiche nicht vereinbar. (ave)

ZUR PERSON

Thomas Hein (45) ist Limnologe und stellvertretender Leiter des Instituts für Hydrobiologie und Gewässermanagement (IHG) der Uni für Bodenkultur in Wien. Außerdem ist er Geschäftsführer des Wasserclusters Lunz am See, wo er auch die Arbeitsgruppe „Bio-Frames“ leitet. Sein Schwerpunkt sind große Flusslandschaften, vor allem Auen und ihre Bedeutung für Fließgewässer. Hein ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2014)

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