Ökotoxikologie: Medikament im Abwasser hilft Fisch

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Ein Angstlöser der Humanmedizin lässt Flussbarsche länger leben – und bringt damit möglicherweise das Ökosystem durcheinander.

Das Phänomen zeigte sich erstmals in den Vorflutern von Berlin – Vorfluter sind die Gewässer direkt unterhalb von Kläranlagen –, dort verweiblichten Anfang der 90er-Jahre männliche Fische partiell, sie bildeten Vitillogen, die Vorstufe von Eidotter. Der Vergleich mit den Vorflutern von Lissabon führte auf die Spur: Dort verweiblichten die Fische nicht – und in der katholischen Stadt war die Antibabypille tabu. Im protestantischen Berlin war sie das nicht, das Östrogen der Pille (Ethinylestradiol) sorgte für das Vitillogen in den Männchen.

Denn dieser Wirkstoff geht, wie alle Chemikalien, die in den Körper hineingehen, auch wieder hinaus, teils ungenutzt und unverändert – im Durchschnitt aller Medikamente zu 30 bis 90 Prozent –, teils metabolisiert. Kläranlagen waren und sind darauf nicht eingestellt, der Cocktail ist auch schwer überschaubar, in Europa werden etwa 3000 Medikamente verwendet, Grenzwerte im Wasser gibt es nicht, weder im Ab- noch im Trinkwasser, weder in der EU noch in Österreich.

Immerhin, die zuständige Wissenschaft – Ökotoxikologie – war aufmerksam geworden, sie fand in vielen Gewässern ein breites Sortiment, von Herzmitteln bis zu Psychopharmaka, auch Medikamente aus Tiermedizin, die für Menschen verboten sind. Und sie begann zu experimentieren: Manche Chemikalien wirken so wie Hormone, obwohl sie keine sind, sie sind „Umwelthormone“, auch sie verweiblichen männliche Fische.

Prozac schadet Krebschen

Andere schlagen auf das Gehirn durch, das Antidepressivum Fluotexin (Prozac) etwa auf das von Flohkrebsen. Die werden von einem Parasiten geplagt, der ihr Verhalten so manipuliert, dass sie zum Licht schwimmen und sich dadurch leichter von Fischen fressen lassen. Die braucht der Parasit als nächsten Wirt, und das Verhalten der Flohkrebse steuert er durch Anregen der Serotoninproduktion im Krebsgehirn. Fluotexin wirkt ganz ähnlich im Menschengehirn, – und im Experiment ließ auch es die Flohkrebse das Licht ansteuern.

Aber die Experimente schauten bisher nur auf direkte Schadwirkungen – Sterblichkeit etc. –, und das hält einer der führenden Ökotoxikologen, Thomas Brodin (Umea, Schweden), nun für eine allzu enge Sicht: Er hat früher bemerkt, dass der angstlösende Wirkstoff Oxazepam Flussbarsche unvorsichtig macht, er hielt das für eine Gefahr für die Fische (Science, 339, S. 814). Aber nun ist ihm das gerade Gegenteil aufgefallen: Flussbarsche mit Oxazepam im Leib leben länger, ganz gleich, ob sie dem Wirkstoff im Eistadium oder als ausgewachsene Exemplare ausgesetzt wurden (Environmental Research Letters, 7. 8.).

Auch das kann Ökosysteme gefährden: „Wenn eine Art besser überlebt, könnten andere Arten – die Beute der einen – leiden“, erklärt Brodin und schließt: „Ein neues Konzept der Ökotoxikologie sollte mitbedenken, dass eine gesundheitsfördernde Substanz Wettbewerbsvorteile verschaffen kann.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2014)

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