Biologie: Auch Pygmäen waren einmal groß

Pygmäen-Frauen in Kamerum
Pygmäen-Frauen in Kamerum(c) PRA/Wikipedia
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In den Wäldern am Äquator leben „Fäustlinge“. Diese wurden erst klein, nachdem sie in die Wälder gedrängt worden waren. Für neue Probleme fanden sie neue Lösungen.

Wenn ganze Populationen kürzer sind als 1,50 Meter – oder 1,55, die Definitionen schwanken –, dann heißen sie Pygmäen („Fäustlinge“, vom griechischen pygmé gleich Faust), und heißen sie weltweit so, sie kommen alleine durch die Körpergröße in die Kategorie, nicht nach Ethnie, Sprache, Kultur etc. Und auch nicht nach Region, denn Pygmäen gibt es in Afrika, Asien und Südamerika. Seit der deutsche Entdecker Georg Schweinfurt 1870 solche Menschen im heutigen Zaire sichtete – als erster Neuzeitler, den Alten waren sie wohlbekannt, sowohl den Ägyptern als auch den Griechen –, versucht man zu klären, warum sie so klein sind. Es gibt viele Hypothesen, alle gehen davon aus, dass die meisten dieser Völkerschaften in dichten Regenwäldern am Äquator leben.

Nahrungsmangel? Hitze? Gestrüpp?

Regenwälder sehen nur für den sehnsüchtig-naiven eurozentrischen Blick so produktiv aus, in Wahrheit bieten sie wenig Nahrung – regelmäßige, das ganze Jahr über –, so wenig, dass man lange nicht glauben konnte, dass Menschen dort überleben. Sind sie also wegen Nahrungsmangels so klein? Oder wegen der kaum erträglichen schwülen Hitze? Das vermutete Luigi Cavalli-Sforza: Kleine Körper kühlen leichter, weil die Masse im Kubik wächst, die Oberfläche aber nur im Quadrat. Oder kommen Kleinere einfach besser durch den Dschungel? Das brachte Jared Diamond ins Spiel, ein Hochgewachsener, der sich in Regenwäldern oft genug den Schädel angeschlagen hat. Oder geht es um die Gestaltung des ganzen Lebens („life history“)? Die Lebenserwartung der Pygmäen ist gering, sie müssen möglichst früh in die sexuelle Reife kommen, und ein kleiner Körper kommt früher hinein.

Die Lebenserwartung ist u.a. deshalb gering, weil viele Pygmäen zu Tode stürzen, wenn sie hoch in den Bäumen nach Honig suchen. Das ist eines ihrer Nahrungsmittel – und Tauschmittel: Der überwiegende Teil ihrer Nahrung kommt nicht aus den Wäldern, sondern von den Feldern ihrer Nachbarn, denen bringen sie Honig und Jagdbeute etc., dafür bekommen sie Gemüse etc. So gut sind sie jedoch nicht immer miteinander ausgekommen, man stellt sich die Geburt der Pygmäen als Verzwergung vor, die der Not gehorchte: Einst lebten sie am Rand der Regenwälder, dort ist der Tisch üppiger gedeckt, dann kamen – in Afrika – Einwanderer aus dem Norden, Bantu, die brachten vor 5000 Jahren die Landwirtschaft in die Region. Und sie drängten die bis dahin hochgewachsenen Pygmäen in die unwirtlichen Wälder. War das so, und wurden sie dann aus einem der oben angeführten möglichen Gründe kleiner, oder aus allen zusammen?

Ein Genvergleich kann es zeigen, eine Gruppe um George Perry (Pennsylvania State University) hat ihn unternommen, der Anthropologe versucht seit Jahren, die Genese der Pygmäen zu rekonstruieren, er ist früher schon auf Gen-Kandidaten gestoßen, vor allem einen Wachstumsfaktor – den Insulin Growth Factor 1 (IGF1) – bzw. seinem Rezeptor, der hatte eine besondere Genvariante bei den kleinsten aller afrikanischen Pygmäen, den Efe, die Frauen sind im Durchschnitt 135 Zentimeter groß, die Männer 143. Die Efe holen nur 37 Prozent ihrer Nahrung aus den Wäldern, den Rest tauschen sie ein, bei ihnen hatte sich auch gezeigt, dass Pygmäen nicht unter Mangelernährung leiden, ihr Gewicht passt zu ihrer Körpergröße, sie haben normale Fettdepots.

Diesmal hat sich Perry den Batwa zugewandt, die in Uganda, Ostafrika, leben. Er hat ihre Genome mit denen der Baka verglichen, diese leben im Westen, in der Zentralafrikanischen Republik. Er hat zudem die Genprofile beider mit denen ihrer jeweils nächsten bäuerlichen Nachbarn verglichen. Und er hat nicht nur einzelne Gene miteinander verglichen, sondern ganze Regionen, von denen bekannt ist, dass sie mit der Körpergröße und dem Knochenwachstum zu tun haben (Pnas, 13.8.).

„Konvergente Evolution“

Dabei zeigte sich bei den Batwa und den Baka eine „konvergente Evolution“: Von einem gemeinsamen Ahnen können sie ihre Genmuster nicht haben, zum einen, weil sie sich vor 20.000 Jahren voneinander getrennt haebn, damals lebten sie noch groß gewachsen an den Rändern der Wälder. Dann kamen neue Herausforderungen durch neue Umweltbedingungen. Auf diese haben beide Gruppen unabhängig voneinander Antworten gefunden, die den Phänotyp ganz ähnlich aussehen lassen. Aber der Genotyp ist es nicht, auch das schließt ein gemeinsames Erbe aus: Die Evolution setzte zwar in den gleichen Gengruppen an, fand aber dort unterschiedliche, gleichwertige Wege zur Lösung der gleichen Herausforderung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2014)

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