Biologie: Wie Fische aus dem Wasser ans Land stiegen

Polypterus
Polypterus(C) Antoine Morin
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Der große Umbau des Körpers und des Verhaltens fand vor 400 Millionen Jahren statt. Aber seine Prinzipien kann man heute noch erkunden, an einem Fisch, der in beiden Welten leben kann.

Vor etwa 400 Millionen Jahren stiegen die ersten Fische aus dem Wasser ans Land, sie wurden die Ahnen aller dortigen Vierfüßler (Tetrapoden), von den Amphibien über die Vögel bis zu Säugern, auch hin zu Schlangen, diese legten nur ihre Extremitäten wieder ab. Das Ganze war einer der Schlüsselschritte der Evolution, lange suchte man das Missing Link, anno 2006 war es gefunden: Es war ein zwei Meter langes Mischwesen aus Fisch und Tetrapod, hatte eine Rückenflosse, sah aber sonst ein wenig aus wie ein Krokodil. Es lebte im heutigen Alaska, man nannte es „Tiktaalik“, in der Sprache der Inuit heißt das „großer Fisch des flachen Wassers“.

Bald fand man einen noch älteren Ahnen im heutigen Polen – der hatte sogar etwas, was Tiktaalik noch nicht hatte: Zehen – und beiden sah man natürlich an, dass Fische auf dem Weg ans Land in vielfältigster Weise umgebaut werden mussten: Der bei Fischen fest mit dem Körper verbundene Schädel etwa musste frei beweglich werden, im Wasser ist das überflüssig, auf festem Boden ist es unentbehrlich; die Flossen brauchten einen Umbau zu Beinen mit Gelenken. Wie das im Detail vor sich gegangen war, das konnten die beiden Fossilien natürlich nicht zeigen, später gefundene auch nicht.

Aber lebende Fossilien können es, und eines sichtete ?tienne Geoffroy Saint-Hilaire 1798/99 in Ägypten, er war im wissenschaftlichen Tross des Expeditionschors von Napoleon: Ihm fiel ein Fisch auf, der Lungen hatte und auch über das Land wandern konnte, er nannte ihn „Polyptère bichir“, heute heißt er Nil-Flösselhecht (Polypterus bichir). Saint-Hilaire machte sich damit bis zum heutigen Tag einen Namen als Anatom und ganz früher Erkunder der Evolution.

Der Nil-Flösselhecht hat einen kleineren Verwandten, Polypterus senegalus, der nicht nur im Senegal legt, sondern auch im Labor von Emily Standen (University of Ottawa). Die hat mit ihm experimentiert, so schlicht wie aufschlussreich: Sie hat zwei Gruppen acht Monate lang gehalten, die eine im Wasser, die andere an Land. Dabei zeigte sich rasch, was „phänotypische Plastizität“ kann, in der Physiologie wie im Verhalten: Die Fische am Land befreiten ihre Köpfe von den Körpern, sie zogen ihre Flossen enger an den Körper und brachten ihn damit vorne wie hinten in die Höhe. Auch die Bewegungsweise änderte sich, an Land verringerte sich der Takt, im Gegenzug wurden die Krümmungen des Körpers ausladender. Standen erklärt dies damit, dass Gehen mehr Energie erfordert als Schwimmen (Nature, 27. 8.).

Erst der Phänotyp, dann die Gene


All das waren schlichte – nein, höchst komplizierte – Anpassungen des Phänotyps an die neuen Herausforderungen, sie kamen nicht von Genvarianten. Standen formuliert es so: „Neue oder stressreiche Umwelten, vor allem solche, denen Tiere zuvor nicht ausgesetzt waren, sind Katalysatoren der Variation.“ Die optimale wurde später genetisch fixiert, dann war wieder Schluss mit der Plastizität, eine solche „genetische Assimilierung“ wurde schon in den 50er-Jahren postuliert.
Polypterus selbst war offenbar nicht der optimale Phänotyp – seine Innovationskraft brachte so wenig dauerhaften Erfolg wie Napoleons Invasion Ägyptens –, anderen muss das Landleben noch besser gelungen sein, von ihnen stammen die Tetrapoden ab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2014)

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