Politikberatung: Was tun, wenn der isländische Vulkan ausbricht?

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Bei Katastrophen greifen politische Entscheidungsträger auf wissenschaftlichen Sachverstand zurück. Das kann funktionieren - Beispiel Großbritannien -, das kann arg danebengehen. Letzteres zeigt sich in den USA und, noch verheerender, in Deutschland.

Wenn der Vulkan ausbricht in Island, dann muss rasch entschieden werden, und kundig. Für Ersteres sind die Regierungen zuständig, zu Letzterem tragen ihre wissenschaftlichen Berater bei. Deren Chef war in Großbritannien beim Ausbruch des Eyjafjallajökull im April 2010 John Beddington, ein Populationsbiologe. Der trommelte eine ganz eigene Population zusammen, aus dem Fundus von SAGE, der Scientific Advisory Group for Emergency. Dort gibt es Spezialisten für alles und jedes, auch Vulkanologen, unter anderem eine, die über den Eyiafjallajökull dissertiert hat.

Auf SAGE-Rat hin wurde der Luftverkehr stillgelegt. Das ging rasch und wurde gegen die Interessen der Fluggesellschaften durchgehalten, die Experten prüften zudem, ob ein benachbarter Vulkan ausbrechen könnte. Sie machten sich auch Gedanken über den Laki, der 1783 halb Europa mit einer Giftwolke überzogen hatte. Der blieb ruhig, aber auch die Reaktionen der Regierung waren für den Risikoforscher David Alexander (University College London) zu ruhig: Man hatte etwa keinen Plan, was den Flugverkehr ersetzen könnte. Man hat ihn bis heute nicht: „Es gibt keinen adäquaten Weg, mit Millionen gestrandeter Reisender umzugehen.“

Immerhin, das britische Krisenmanagement brachte die International Civil Aviation Organization zur Klärung ihrer Richtlinien in Bezug darauf, bei wie viel Asche in der Luft noch geflogen werden darf. Es brachte auch den britischen Wetterdienst dazu, Ausbreitungsmodelle der Asche zu erarbeiten. Insofern ist das Land mit seiner Nutzung des wissenschaftlichen Sachverstands vorbildlich, etwa im Vergleich mit den USA und Deutschland (Nature, 512, 361): Im selben April 2010 explodierte im Golf von Mexiko die Ölbohrstation Deepwater Horizon, und theoretisch war die US-Regierung gut aufgestellt: John Holdren, ein Physiker, war wissenschaftlicher Chefberater des Weißen Hauses, Jane Lubchenco, Meeresökologin, war Chefin der auch für Meere zuständigen Behörde NOAA, und an der Spitze des Energieministeriums stand gar ein Physiknobelpreisträger, Steven Chu.

Aber der Unfall war schwer zu durchschauen – am Meeresgrund trat Öl aus –, und wieder gab es starke Interessen: Die Ölplattform gehörte BP. Alles zusammen führte dazu, dass die NOAA das ausströmende Öl erst weit unterschätzte – auf 5000 Barrel am Tag, viel später wurde auf 53.000 Barrel korrigiert – und dann ihren Ruf verspielte: Als unabhängige Forscher eine „Ölfahne“ meldeten, die sich in tausend Meter Tiefe hunderte Kilometer weit vom Unglücksort hinzog, reagierte Lubchenco mit einem so schroffen wie falschen Dementi („irreführend, nicht akkurat“).

Ölbohrunfall, Bakterienepidemie

Chu erledigte seinen Job besser, er brachte BP dazu, das ausströmende Öl exakt zu messen, endlich konnte das Bohrloch geschlossen werden. „Viele Menschen haben heroische Arbeit geleistet“, urteilt Ozeanograf Ian MacDonald (Florida State University) im Rückblick, „aber die Regierung war auf der falschen Seite der Geschichte.“

Ihr Versagen wurde nur noch von einem Land überboten, dem man per se fortgeschrittene Forschung und perfekte Organisation zuspricht: Deutschland: Am 19.Mai 2001 kamen in Hamburg drei Kleinkinder in ein Spital, sie litten an einer lebensbedrohlichen Infektion mit Kolibakterien. Die Hamburger Behörden riefen das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin zu Hilfe – es ist Deutschlands Behörde für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten –, am nächsten Tag waren drei Spezialisten in Hamburg.

Sie merkten rasch, dass in vielen Spitälern Ähnliches vor sich ging, nicht nur in Hamburg. Zwei Monate später waren 3800 Menschen infiziert und 54 tot, es war die ärgste Koli-Epidemie in Europa. Wo kam sie her? Die üblichen Verdächtigen – frische Milch und rohes Fleisch – konnten rasch ausgeschlossen werden. Aber dann tischte Hamburgs Gesundheitssenatorin ohne Rücksprache mit dem RKI den Verdacht auf, die Bakterien seien mit Gurken aus Spanien gekommen. Er war falsch, der spanische Gemüseexport brach zusammen – Schaden: über 200 Millionen Euro –, das Vertrauen der Deutschen in ihre Behörden ebenfalls.

Solche Geschichten sind gerade auf einer Tagung wissenschaftlicher Regierungsberater in Auckland zu hören, zumindest war es so geplant. Aber nun droht wieder ein Vulkan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2014)

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