Wenn der Vater hilft, sind die Jungen selbstloser

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Kleines Kind(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com
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Weshalb ist der Mensch kooperativ? Eine anthropologische Studie mit österreichischer Beteiligung zeigt: Der evolutionäre Ursprung von Selbstlosigkeit könnte in der gemeinschaftlichen Betreuung des Nachwuchses liegen.

Zahlreiche Primatenarten weisen hohe kognitive Fähigkeiten auf. Das heißt, sie können etwa vorhandenes Wissen anwenden und Neues erlernen. Ob sich daraus schließen lässt, dass sie auch kooperativ und selbstlos handeln, konnte jedoch bislang nicht klar abgeleitet werden.

Eine europäische Forschergruppe mit österreichischer Beteiligung führte nun ein standardisiertes Experiment mit rund 15 verschiedenen Primatenarten durch – darunter auch Menschen. Die Forscher stellten fest: Menschen und andere Primaten mit besonders ausgeprägtem selbstlosen Verhalten verbindet, dass sie ihren Nachwuchs gemeinschaftlich aufziehen. Die Resultate der Studie erschien kürzlich im Fachjournal „Nature Communications“.

Belohnung für die anderen

Auf den Grund gingen die Forscher dem Sozialverhalten und insbesondere der Selbstlosigkeit von 15 Primatenarten der drei großen Gruppen – Halbaffen, Affen und Menschenaffen. Das Szenario: Vor seinem Käfig fand der Affe eine Belohnung, die er durch Ziehen an einem Griff erreichen konnte. Wurde diese in einer größeren Entfernung platziert, kam das Tier nicht mehr selbst an die Nahrung heran, es konnte durch seine Bewegung aber die anderen Mitglieder versorgen. Einige Affen verzichteten daraufhin auf jegliche Aktion, andere handelten selbstlos und zogen ohne Eigennutz am Griff.

Adolf Heschl, zum Zeitpunkt der Studie am Institut für Zoologie der Universität Graz und derzeit als Leiter des Science Centers im Ökopark Hartberg tätig, zeichnete für die Datenerhebung auf österreichischer Seite verantwortlich: Drei Siamang-Affen aus dem Tierpark Herberstein wurden für die Studie ausgewählt.

Nach Vergleich der Ergebnisse stellten die Forscher fest: Allomaternale Fürsorge, also die Beteiligung der Väter oder anderer Familienmitglieder an der Jungenaufzucht, scheint der beste Indikator für erhöhtes Sozialverhalten zu sein. Auch die Siamangs, bei denen das Jungtier ab dem Alter von einem Jahr vom Vater betreut wird, agierten im Experiment selbstlos.

Intelligente Entwicklung

Der Mensch betrieb bereits früh eine kooperative Nachwuchsbetreuung. „Aus ökologischen Gründen wie der schwierigen Anpassung an Lebensräume in der Savanne wurde die gemeinsame Aufzucht durch Mütter und Väter oder andere Gruppenmitgliedern notwendig. Die Familien mussten sich gegenseitig unterstützen“, so Heschl.

Hier sieht die Studie den Ansatzpunkt für die Entwicklung jener besonderen kognitiven Fähigkeiten, die den Menschen heute ausmachen. „Selbstlos zu handeln bedeutet verstärkte Kooperation. Und die scheint einer der Hauptmotoren einer intelligenten Entwicklung zu sein“, sagt Heschl. „Nicht die harte Umwelt hat uns so intelligent gemacht, wie wir heute sind, sondern die Bereitschaft zur Selbstlosigkeit, und die baut primär auf dem gemeinschaftlichen Engagement für den Nachwuchs auf.“

Die Ergebnisse der Studie sollen nun durch Experimente mit Tierpaaren bestätigt werden, um eventuelle – durch unterschiedliche Gruppengrößen entstandene – Unsicherheiten auszuschließen. Auch sollen Beobachtungen ohne Versuchsszenario – so etwa im Tierpark Herberstein – die Ergebnisse weiter abstützen.

LEXIKON

Allomaternale Fürsorge bedeutet, dass die Betreuung des Nachwuchses nicht allein durch die Mutter, sondern auch durch den Vater oder andere Mitglieder einer Gruppe erledigt wird. Es handelt sich also um eine kooperative Form der Jungenaufzucht.

Siamang sind die größten Vertreter aus der Familie der Gibbon-Affen. Sie praktizieren eine gemeinschaftliche Aufzucht: Zunächst kümmern sich die Muttertiere um die Jungen, nach einem Jahr geht die Betreuung dann an die Väter über.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2014)

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