"Online-Kuh": Jeder Kuh ihren eigenen Sender

Milchkuh auf einer Weide
Milchkuh auf einer Weide(c) www.BilderBox.com (www.BilderBox.com)
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Das System Smartbowliefert genaue Daten über den Zustand von Nutztieren. So zeigen zum Beispiel Milchkühe, wann für sie die Zeit für die Besamung gekommen ist.

Verstecken oder sich hinter den anderen Tieren verbergen kann sich eine Kuh nicht mehr, auch wenn sich in der Halle oder auf der Weide 100 oder mehr Artgenossen befinden. Auch über ihre Befindlichkeit, vor allem über den Brunftzustand kann der Bauer jederzeit Auskunft erhalten. Ein Minisender übermittelt die Daten auf das eigene Smartphone.

Die Tierhaltung der Zukunft hat bereits begonnen. Die Tiere – in erster Linie Kühe – erhalten eine Ohrmarke mit einem kleinen Sender, der mit modernster Sensorik ausgestattet ist. Im Stall und im Außenbereich werden Empfangssender montiert. Der Milchbauer erkennt Veränderungen seiner Kühe. „Du kannst als Landwirt ja nicht 24 Stunden im Stall stehen“, sagt Tierarzt Johannes Veit, der südlich von Graz in Wundschuh einen Rinderbetrieb mit 90 Kühen betreut.

Als „Management für Tierhaltungsbetriebe“ hat das Unternehmen MKWE Electronics das Projekt Smartbow entwickelt. „Die mit einer Batterie versehene Ohrmarke ist mit Bewegungssensoren ausgestattet, die alle Aktivitäten des Tieres ablesen“, sagt Wolfgang Auer, einer der beiden MKWE-Geschäftsführer. Gehen, Fressen, Liegen, Wiederkäuen werden, kombiniert mit dem genauen Aufenthalt im Stall oder auf der Weide, aufgezeichnet. Bis zum Sommer dieses Jahres haben 30 Betriebe in Österreich, Deutschland, den USA, Dänemark und Schweden das neu entwickelte System eingeführt. Derzeit erhält ein Betrieb in der Türkei mit 2400 Kühen das Smartbow-System.

Die großen Vorteile sieht Tierarzt Veit in der Brunfterkennung. Der Milchertrag ist dann kommerziell zufriedenstellend, wenn die Kuh ein Kalb bekommt – nach der „Faustregel“ ist dies jedes Jahr ein Mal der Fall. Nach dem Abkalben ist die Milchleistung signifikant höher, um nach zehn Monaten deutlich zurückzugehen. „Mit Hilfe der Brunfterkennung kann das Intervall um ca. drei Wochen verkürzt werden“, sagt Johannes Veit. Der Zyklus beträgt 21 Tage, beginnend nach der Abkalbung. Durch Smartbow erkennt der Landwirt die Trächtigkeit und kann eine (künstliche) Besamung vornehmen.

Versäumt er den Zeitpunkt, muss er 21 Tage warten. Das bedeutet: Später, vor der nächsten Abkalbung, würde die Kuh keine Milch mehr liefern, es droht ein Einkommensverlust. Eine brünstige Kuh bewegt sich mehr, sie springt auf andere Kühe auf und ihre Wiederkauschläge sinken aufgrund der erhöhten Aktivität. All das zeichnet Smartbow auf und teilt den Zeitpunkt einer vorzunehmenden Besamung mit.

Für den Landwirt und für den Tierarzt gibt es noch eine zusätzliche Erleichterung: Durch den verbundenen Ortungssender kann die Kuh auch leicht gefunden werden. Bei 90 Kühen, wie sie in Wundschuh im Stallgebäude stehen, bedeutet dies eine enorme Zeitersparnis. Das Anketten der Tiere ist ja laut EU-Verordnung untersagt.

Ein Ohrmarker kostet 48 Euro, in Verbindung mit den Empfangssendern und der Infrastruktur (Server, PC, Software) muss man mit rund 150 Euro pro Kuh rechnen. Die Ohrmarker sind auf andere Tiere übertragbar.

Das erste Projekt des Smartbow-Systems wurde 2008 bei der Eurotier in Hannover, der größten europäischen Messe für Tierhaltung, ausgezeichnet. Bei den weiteren Entwicklungsschritten waren die Uni Kiel, die Lehr- und Versuchsanstalten Futterkamp (Schleswig-Holstein) und Grub (Bayern) sowie die Höhere Lehr- und Forschungsanstalt Gumpenstein in der Steiermark beteiligt. Das nächste Ziel ist die Erkennung von Krankheiten, die durch spezifische Bewegungen sichtbar gemacht werden.

AUF EINEM BLICK

Das System Smartbow: Mittels Sensor werden die Bewegungen der Tiere (Kühe, Schweine) aufgezeichnet. Die Bewegungsmuster geben Aufschluss über den Zustand eines Tieres.

Das Unternehmen: Wolfgang Auer, einer der beiden Geschäftsführer von MKWE Electronics, startete das Studium der Wirtschaftsinformatik, um sich dann auf die Entwicklung des Tiererkennungssystems zu stürzen. Er besitzt auch einen Betrieb mit Mutterkuhhaltung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2014)

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