Wohin floss das Geld?

Wohltätigkeit. Viele Wiener Griechen hinterließen Geld in Stiftungen: Sie engagierten sich sowohl in Österreich als auch im Herkunftsland.

Das soziale Engagement in den Wiener griechischen Gemeinden steht im Fokus des neuesten FWF-Projekts von Maria A. Stassinopoulou. Die Unterlagen dazu entdeckten die Forscher der Neogräzistik (Uni Wien) in den Archiven der zwei griechischen Gemeinden Wiens. „Das meiste Material stammt aus Stiftungen, in denen Menschen nach ihrem Ableben Geld für den guten Zweck hinterlassen wollten“, sagt Stassinopoulou. Gemeinsam mit ihren Mitarbeitern, Nathalie Patricia Soursos und Stefano Saracino, will sie herausfinden, für welche Einrichtungen sich die Wiener Griechen damals engagiert haben.

Es gab kleine Hinterlassenschaften von zwölf bis 100 Gulden für Memorialzwecke: etwa, dass eine Messe am Namenstag des Verstorbenen gelesen werden sollte. Doch es gab auch ganz große Stiftungen für Schulen und soziale Einrichtungen: „Hier wollen wir untersuchen, wohin das Geld ging und was das bedeutet.“ Denn es sagt viel über die Integration und Identität der Migranten aus, ob ein in Wien lebender Grieche sein Geld Schulen oder Spitälern im Osmanischen Reich vermachte oder Wiener Institutionen förderte. Einige entschieden sich für die Griechische Nationalschule am Fleischmarkt, eine seit 1804 per Kaiserdekret anerkannte Grundschule, in der Unterricht auf Deutsch und Griechisch stattfand. „Unsere Daten haben eine große zeitliche Tiefe von 1780 bis 1918: Da erfährt man viel über Integrationsprozesse, den Wandel der Identitäten und die sinnstiftende Bedeutung von frommen Stiftungen: Wie entschieden sich Menschen, ihre Memoria zu retten?“

Das Stiftungsverhalten zu Kaisers Zeit

Der zweite Aspekt des Projekts ist wirtschafts- und sozialhistorisch: Wie reagierten der Staat, die Stadt Wien, die griechischen Gemeinden auf die hoch dotierten Stiftungen? Die Entwicklung des Stiftungsverhaltens im Habsburgerreich kann an dem Beispiel neu gelesen werden. „Schon um 1800 wurde Kapital in Österreich behalten, indem ein Teil der gestifteten Gelder zwingend in österreichische Banken investiert wurde. Auch entschieden sich Gemeinden für eine Gruppierung mancher Stiftungen in Armenfonds, Schulfonds oder Kirchenfonds.“

Stassinopoulou selbst genießt jedenfalls die örtliche Nähe ihres Arbeitsplatzes zu historischen Stätten der Forschung: „Viele Stiftungen betrafen Häuser im Griechen- und Universitätsviertel. Die Veränderung der gestifteten Häuser beobachte ich gern persönlich und zeige sie auch den Studierenden als Teil der Geschichte der Stadt Wien.“ (vers)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2014)

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