Tunnelbau: Forschung, die weit in die Tiefe geht

Auto faehrt in einem Tunnel
Auto faehrt in einem Tunnel (c) www.BilderBox.com
  • Drucken

Im steirischen Erzberg entsteht ein einzigartiges „Zentrum am Berg“. Schon der Bau ist Teil der Forschungsarbeit. Die insgesamt fünf Forschungstunnel sollen auch Einsatzkräften für Sicherheitsübungen zur Verfügung stehen.

Insgesamt 39 Menschen starben, als im März 1999 ein Lkw im Mont-Blanc-Tunnel Feuer fing. Als Ursache gilt eine weggeworfene Zigarette. Die Ladung aus Margarine und Mehl und ein nicht ausreichendes Belüftungssystem machten den Tunnel zur Feuerfalle. Der Brand konnte erst nach 53 Stunden gelöscht werden. Nur zwei Monate später starben zwölf Menschen bei einem Brand im österreichischen Tauerntunnel. Durch die enorme Hitzeentwicklung von bis zu 1200 Grad Celsius konnten die Einsatzkräfte erst zwölf Stunden nach dem Unfall mit den Löscharbeiten beginnen.

„Die verheerenden Tunnelbrände um die Jahrtausendwende haben auch die Fachwelt aufgerüttelt. Spätestens seit damals ist klar, dass es viel mehr Wissen aus verschiedenen Blickwinkeln braucht, um solche Situationen besser beherrschen zu können“, sagt Robert Galler, Vorstand des Lehrstuhls für Subsurface Engineering – des Bereichs an der Montanuni Leoben (MUL), der sich mit ingenieurwissenschaftlichen Arbeiten unter der Erde befasst.

Aktuell gibt es in der Europäischen Union 6600 Kilometer Tunnel. Weitere 2100 Kilometer sind im Bau oder geplant. Hier können Weiterentwicklungen direkt einfließen. Wissenschaftlich geht es dabei um die Statik des Tunnels, das Materialverhalten – etwa von Fels und Baustoffen – oder die Aerodynamik. „Fortschritte in diesen Bereichen können Tunnel sicherer machen“, so Galler.

Tests, um das Material oder die Baumethoden weiterzuentwickeln, waren unter realen Bedingungen bisher kaum möglich: Eine Überprüfung im Labor sei nur eingeschränkt aussagekräftig, selbst bei Tests in bestehenden Tunnel könnte nicht das Szenario eines tatsächlichen Katastrophenfalls geschaffen werden, sagt Galler: „Das ist aufwendig und teuer, da die Tunnel für die Versuche gesperrt werden und der Verkehr umgeleitet werden muss. Man kann auch nur mit eingeschränkter Brandlast testen, da sonst Schäden am Tunnel entstehen.“ Und rechnerisch von Versuchsbrandlasten mit zwei bis drei Megawatt auf reale Brandlasten von 30 bis 100 Megawatt zu schließen, sei eigentlich nicht möglich, so Galler.

Einzigartige Forschungsstätte

Ein unterirdisches Tunnelsystem zu Forschungszwecken könnte hier Abhilfe schaffen. Mit dem „Zentrum am Berg“ soll in einem stillgelegten Teil des steirischen Erzbergs eine weltweit einzigartige Forschungsstätte entstehen: Insgesamt fünf Tunnelröhren sind im Vollbetrieb vorgesehen – ideale Bedingungen nicht nur für Forscher, sondern auch für Tests der Bau- und Bergbauindustrie. Schon das „Auffahren“, wie der Tunnelbau in der Bergmannssprache bezeichnet wird, soll der Forschung nutzen. „Dabei lassen sich etwa Vortrieb, Stützmittel und Statik untersuchen“, so Projektleiter Galler. Etwa ein neuer, erschütterungsarmer Sprengstoff ließe sich so testen.

Das könnte sich zugleich zu einem Wettbewerb der Baumethoden entwickeln: So wäre ein direkter Vergleich von Verfahren mit der „Neuen Österreichischen Tunnelbaumethode“, die bereits Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelt wurde, möglich (siehe unten). „Zudem ist das eine große Chance, die Neue Österreichische Tunnelbaumethode weiter zu verbessern“, so Galler. Das könnte künftig Kosten beim Tunnelbau sparen helfen.

Auch die Frage, wie sich das Material vom Tunnelausbruch als Rohstoff für eine weitere Verwertung nutzen lässt, soll berücksichtigt werden. „Wir wollen ,intelligente Vortriebstechniken‘ entwickeln, bei denen etwa Granit oder Kalk sortiert abgelegt wird.“ Dabei kann zugleich erforscht werden, wie sich maschinelle Vortriebstechniken weiterentwickeln lassen.

Auf rund 1000 Metern Seehöhe sollen im Bereich der Erzbergetage Dreikönig zwei Eisenbahn- und zwei Straßentunnel sowie eine fünfte Röhre als reine Versuchsstrecke entstehen. „Das entspricht einem Doppelröhrensystem wie im realen Straßenverkehr“, so Galler. Beim geplanten Querschnitt orientiert man sich am steirischen Gleinalmtunnel. In den Eisenbahntunnel werden Schienen verlegt – um ein realistisches Szenario zu schaffen, aber auch, damit Versuchsobjekte an- und abtransportiert werden können.

Drei Kilometer Versuchstunnel

Die in Summe fast drei Kilometer langen Tunnelröhren verlaufen einerseits unter der höchsten Stelle des Erzbergs, dem sogenannten Erzbergspitz, andererseits gibt es auch Abschnitte mit geringer Überlagerung durch den Berg. „So lassen sich unterschiedliche Bedingungen testen“, sagt Galler.

Von Anfang an will man bei den Arbeiten jedenfalls Studierende miteinbeziehen. „In der Praxis zu erleben, was passiert, wenn ein Tunnel gebaut wird, bietet die ideale Basis, um die Methoden zu verstehen“, sagt der Professor. „Praxisorientiertes Arbeiten im „Zentrum am Berg“ ist bereits im Lehrplan der MUL vorgesehen. Auch Facharbeiter könnten hier geschult werden. „Denn derzeit gibt es keine Mineursausbildung oder Ausbildung für Personen am Schalwagen.“

Wissenschaftler anderer Einrichtungen haben bereits Interesse bekundet, die Tunnel zu nutzen: Forscher der TU Graz wollen etwa bestehende und neue Lüftungskonzepte testen. Die Ausbreitung von Gasen und die notwendige sicherheitstechnische Ausrüstung lassen sich im Erzberg ideal untersuchen.

Aber auch die Auswirkungen der Klimaveränderung auf Tunnel, etwa die Folgen von Starkniederschlägen oder Muren, ließen sich messen, so Galler. Weiters wolle man Steinschlagschutzsysteme an den Tunnelportalen testen. Geothermie, also Erdwärme, könnte genutzt werden, um Tunnelportale im Winter eisfrei zu halten. 50 Unternehmen haben bereits Interesse bekundet, im Berg zu forschen: „Die Projekte reichen vom Bauingenieurwesen bis zur Informatik“, so Galler.

Krisenszenarien trainieren

Aber nicht nur die Forschung soll profitieren. Feuerwehren und andere Einsatzkräfte können Krisenszenarien unter realen Verhältnissen trainieren, so Galler. Geht es nach ihm, sollen sogar Führerscheinneulinge im Berg üben können. Wie bei einem Schleuderkurs ginge es darum, bestimmte Situationen zu trainieren, um für den Ernstfall besser gerüstet zu sein. Wie verhält man sich richtig bei einem Tunnelbrand? Wie funktionieren Notfall-Leitsysteme und wo sind Schutzräume? Galler will dafür ein eigenes Schulungszentrum einrichten.

Auch wenn bereits der Bau als Forschung zählt, soll es drei bis vier Jahre dauern, bis alles fertig ist. Die Behördengenehmigungen sind allerdings noch offen, so Galler. Geht alles gut, will man bereits im Sommersemester gemeinsam mit den ersten Studierenden mit den Arbeiten am „Zentrum am Berg“ starten.

Mit der kürzlich erfolgten Finanzierungszusage – jeweils sechs Millionen Euro kommen von Wissenschafts- sowie Technologieministerium, zwölf Millionen Euro vom Land Steiermark und sechs Millionen steuert die MUL selbst bei – ist man der Umsetzung jedenfalls schon ein wichtiges Stück näher gerückt.

LEXIKON

Auffahren bedeutet, dass eine Grube, ein Stollen oder Tunnel durch manuelles oder maschinelles Aushauen des Gesteins entsteht. Damit wird die Basis für den weiteren Verbau geschaffen, der Hohlraum befindet sich noch im Rohzustand.

Brandlast bezeichnet das Wärmepotenzial vorhandener brennbarer Stoffe. Daraus lässt sich die Branddauer errechnen, die wiederum herangezogen werden kann, um die erforderliche
Feuerwiderstandsdauer einer Baukonstruktion zu bestimmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Wissenschaft

Land der Tunnel und des Tunnelbaus

Die „Neue österreichische Tunnelbaumethode“ schont das Gebirge und spart dabei Kosten. Damit ist sie bis heute ein weltweiter Exportschlager.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.