Medizin: Mit Brokkoli Autismus mildern?

(C) Wikipedia/ Toubib
  • Drucken

Die erfolgreiche Stärkung der Stressresistenz von Zellen durch Inhaltsstoffe bringt erstmals schwache Hoffnung auf Medikamente.

Manche Eltern freuen sich, wenn ihre Kinder Fieber bekommen, dann werden sie zugänglicher und fahren viele Verhaltensweisen herab, die in das Feld der Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) gehören, repetitives Verhalten etwa oder auch die Ablehnung/-wendung von jedem sozialen Kontakt. ASS treffen viele, jeden 68., und sie treffen vor allem das männliche Geschlecht, auf ein kleines Mädchen kommen 4,6 kleine Buben. Das hat Simon Baron-Cohen (Cambridge) auf die Hypothese gebracht, hinter den ASS stehe das männliche Sexualhormon Testosteron – bzw. seine Konzentration im Uterus der werdenden Mutter –, sie ist umstritten, manche setzen auf andere Umweltfaktoren, auch Genvarianten spielen wohl mit.

Fieber hilft, Sulforaphan tut es auch

Die Ursachen liegen also im Dunkeln, auch deshalb gibt es keine Medikamente, zumindest keine kausal wirkenden, allenfalls Hausmittel, auch so unwillkommene wie Fieber. Ob und wie das hilft, weiß man nicht, aber es gibt so viel Hörensagen – die Hälfte der Eltern von ASS-Kindern berichtet über Linderung –, dass Paul Talalay (Harvard Medical School) ihm experimentell nachgegangen ist: Durch Fieber wird die Stressresistenz des Körpers erhöht, etwa mit Hitzeschockproteinen, die bei Umweltstress schützen, auch in den Zellkraftwerken, den Mitochondrien, dort gibt es Stress durch aggressive Moleküle (freie Radikale), und die Mitochondrien arbeiten bei ASS oft suboptimal.


Aber nicht nur Fieber aktiviert Hitzeschockproteine, auch viele kleine Moleküle, Sulforaphan etwa, ein Inhaltsstoff von Brokkoli (und Karfiol und Kohl). Ihn hat die Medizin schon länger im Blick, als mögliches Medikament gegen Tumore. In klinischen Tests hat sich gezeigt, dass auch höhere Dosen – höhere, als man sich durch den Verzehr von Brokkoli anessen kann – keinen Schaden anrichten. Deshalb hat Talalay an vierzig ASS-Opfern Sulforaphan getestet, 26 erhielten es, die anderen Placebo. Das lief 18 Wochen, alle vier Wochen kamen ASS-spezifische Verhaltenstests, vier Wochen nach der letzten Gabe noch einmal: Die Kur wirkte, zwar nur bei der Hälfte der Probanden, aber bei manchen so gut, dass sie taten, was Autisten kaum tun: Augenkontakt aufnehmen (Pnas 13. 10.).


Damit war es nach dem Absetzen der Substanz wieder vorbei, es lag also am Sulforaphan. Aber die Studie war klein, und die Linderung stellte sich eben nur bei einigen ein. Immerhin, in der Vorwoche kam indirekte Bestätigung dafür, dass Talalay bei der unspezifischen Stärkung von Zellen gegen Stress auf einem vielversprechenden Weg ist: Susan Aja (Johns Hopkins) hat an ASS-Mäusen eine andere Substanz getestet, Triheptanoin (Glycerintriheptanoat): Sie bringt defizitäre Mitochondrien wieder in Schwung und hat die Symptome gemildert (PloS One, 9. 10.).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.