Anthropologie: Wer waren die zwergenhaften Menschen von Flores?

(c) EPA (Peter Brown)
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Vor zehn Jahren brachte ein sensationeller Fund in Indonesien Reste von Menschen ans Licht, wie man sie noch nicht gesehen hatte. Seitdem herrschen Streit und Unklarheit darüber, ob es Menschen einer ganz eigenen Art waren – und wenn ja, welcher.

„Wir hörten die aufregendsten Erzählungen von kleinen Menschen, die ,Ebu Gogo‘ genannt wurden, ,Ebu‘ heißt ,Großmutter‘, und ,Gogo‘ bedeutet ,die, die alles essen‘. (. . .) Sie waren ungefähr einen Meter groß, hatten lange Haare und lange Arme.“ Das berichtete Bert Roberts (University of Wollongong) am 28. Oktober 2004 im „Guardian“. Warum das für ihn so aufregend war, stand am gleichen Tag in Nature (431, S. 1055): Roberts gehörte zu dem Team, das auf der indonesischen Insel Flores – dort wurden die Geschichten erzählt – Reste eines höchst eigenartigen Menschen ausgegraben hatte: Er war einen Meter klein, hatte einen winzigen Schädel – sein Gehirn war kleiner als das eines Schimpansen –, aber lange Arme.
Er lebte vor etwa 18.000 Jahren – da war auch lange schon Homo sapiens auf der Insel –, die Forscher fanden seine Reste in einer Höhle, in der sie seit 2001 gruben, sie waren auf viele Tierknochen gestoßen, unter anderem von Stegodons – ausgestorbenen Elefanten –, die zu Zwergen geworden waren. Den Effekt kennt man von vielen Inseln, die früher keine waren, sondern trockenen Fußes erreichbar. Dann stieg das Meer, die Habitate wurden eng, große Tiere wurden klein.
Große Menschen auch? Die Ausgräber um Mike Morwood (University of Wollongong) setzten darauf: Auf Flores hatte man schon Spuren einer ganz frühen Besiedelung gefunden, vor 800.000 Jahren lebte dort Homo erectus, der war so groß wie wir. Wie er auf die Insel gekommen ist, die damals schon Insel war, ist rätselhaft, vielleicht reiste er mit Treibgut. Und als er dann irgendwie da war, verzwergte er, zum Homo floresiensis, Morwood machte ihn als „Hobbit“ populär.

Verzwergt, aber wodurch?

Das hätte es nicht gebraucht, der Fund war sensationell genug. Aber er fand nicht überall Glauben, um ihn entbrannte ein bitterer Streit: Teuku Jacob, Doyen der indonesischen Archäologie, sah in dem Menschen von Flores keinen alten und anderen Menschen, sondern einen von uns, Homo sapiens, einen mit Mikrozephalie, die bringt krankhaften Zwergwuchs vor allem des Schädels. Jacob und Morwood gerieten heftig aneinander – „unser Feld ist voll von Egos, vor allem männlichen“, erinnert sich Leslie Aiello, einzige Frau in Morwoods Team (Nature 514, S. 422) –, grundiert war das Ganze davon, dass Jacob Freiheitskämpfer war, der 1949 im Radio die Vertreibung der holländischen Kolonialherren verkündet hatte und sein Leben lang empfindlich blieb gegen Kolonialismus und die Manieren, mit denen westliche Anthropologen bisweilen auftreten.
Beide Kontrahenten sind inzwischen tot, der Kampf ihrer Gefolgsleute tobt weiter, die Mehrheit der Zunft hält den Menschen von Flores allerdings schon für einen ganz eigenen Menschen. Aber was für einer er war, ist völlig ungeklärt. Christ Stringer (Natural History Museum, London) zieht in Nature zum Jubiläum der Publikation Bilanz (514, 427): Er sieht in den alten Knochen keinerlei Krankheiten – neben Mikrozephalie gab es bald auch andere Kandidaten –, aber auch keinen Homo erectus. Der Schädel sieht ganz anders aus, er hat eher die Proportionen eines Australopithecus.
Die Möglichkeit wird seit Längerem erwogen, sie würde bedeuten, dass die Geschichte umgeschrieben werden muss. Bisher geht man davon aus, dass die ersten Auswanderer aus Afrika Homo erectus waren, kurz nach ihrer Entstehung vor 1,8 Millionen Jahren kamen sie in Georgien, an. Australopithecus – die Urmutter „Lucy“ gehörte dazu –, lebte früher, vor 4,2 bis zwei Millionen Jahren, ihm traute man das Erwandern der Erde nicht zu.
Es bräuchte neue Funde – man hat nur einen Schädel (und Knochen von 14 Individuen) –, oder zumindest eine neue Auswertung der alten, Stringer denkt an Isotopen- und Genanalysen. Klären könnte natürlich auch „Ebu Gogo“: Der letzte soll im 19. Jahrhundert gesichtet worden sein. Roberts hält eine Suche in den letzten dichten Wäldern von Flores für durchaus sinnvoll.

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