Genetik: Osterinsulaner in Brasilien?

Osterinseln
OsterinselnNatalia Solar
  • Drucken

Es gibt frühe Verbindungen zwischen Polynesien und Amerika: Osterinsulaner haben auch Gene aus Amerika, manche Indianer hatten rein polynesische Genome.

Liegt die Insel, die 1722 zu Ostern von Europäern entdeckt und nach dem Datum benannt wurde, nun im Zentrum der Erde oder an der Peripherie? Der älteste Name, den ihr die Insulaner selbst gaben – „Te pito o te kainga“ – lässt beide Interpretationen zu: „Kainga“ heißt zwar eindeutig Erde, aber „pito“ kann sowohl „Nabel“ als auch „Ende“ bedeuten. Für die Bewohner, die um das Jahr 1200 auf das entlegene Eiland gestoßen waren – vermutlich waren es 30 bis hundert Männer, Frauen und Kinder auf zwei bis drei Katamaranen –, war es natürlich der Nabel, ringsherum gab es über tausende Kilometer nur Wasser. Aber das „Ende“ war es wohl nicht: Sie waren weit vom Westen gekommen, und sie zogen weit nach Osten weiter, bis sie endlich – nach mindestens 3700 Kilometern – auf Amerika stießen.

Von West nach Ost, nicht umgekehrt!

Darauf, dass es frühen Kontakt zwischen Polynesien und Amerika gegeben hat, deutet vieles hin, etwa südamerikanische Süßkartoffeln auf polynesischen Inseln oder Hühnerknochen in Chile aus einer Zeit, in der es in Amerika noch überhaupt keine Hühner gab – die kamen erst mit den Konquistadoren. Aber die meisten dieser Belege sind umstritten, ebenso wie es auch die erste Version der Seereise bzw. ihrer Richtung war: Der Abenteuer Thor Heyerdahl mischte aus Mythen auf der Osterinsel und in Peru die Hypothese, die Fahrt sei von Peru losgegangen. Er lieferte 1947 mit dem Floß Kon-Tiki auch den Beleg dafür, dass Meeresströmungen ein solches Gefährt nach Polynesien bringen können.

Das glaubt heute niemand mehr, die Reise ging in die Gegenrichtung: Die Peruaner waren keine Seefahrer, die Polynesier waren es sehr wohl, sie waren von Taiwan oder den Philippinen aufgebrochen und hatten sich immer weiter hinaus in den endlosen Pazifik gewagt. Das bestätigen die lokalen Erinnerungen, auch auf den Osterinseln, das bestätigen die Gene. Allerdings haben die auch amerikanische Anteile, Erik Thorsby (Uni Oslo) hat es 2011 an einem Gen gezeigt. Eine Gruppe um Eske Willerslev (Kopenhagen) bestätigt und verfeinert es nun in einer Analyse der gesamten Genome von 27 Osterinsulanern: 76 Prozent ihrer Gene teilen sie mit anderen Polynesiern, 16 Prozent mit Europäern – dieser Anteil kam spät, um 1850 herum – acht Prozent mit Amerikanern, diese Gene kamen früh, zwischen den Jahren 1300 und 1500 (Current Biology, 23.10.).

Weiter nach Osten, über das Land?

Damals müssen Polynesier hin- und retourgesegelt sein und Amerikaner mitgebracht haben. Aber vielleicht reisten nicht alle zurück und manche zogen weiter nach Osten, diesmal nicht über das Meer, sondern über das Land. Das wäre schwierig gewesen, über die Anden hinweg, aber irgendwo her muss ein Indianerstamm gekommen sein, der bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ganz im Osten Brasiliens lebte – der der Botocudos –, dann wurde er von den portugiesischen Kolonialherren fast ausgerottet: Manche Mitglieder des Stamms hatten keinerlei amerikanische Gene, sondern nur polynesische. Auch das wusste man schon, von der Analyse eines Gens, die Willerslev im Vorjahr publiziert hat. Nun hat er es wieder im gesamten Genom bestätigt, wieder an Schädeln aus Museen (Current Biology, 23.10.).

Damit konnte er zugleich die gängigen Erklärungsversuche ausschließen: In den 1860er-Jahren überfielen Peruaner polynesische Inseln – auch die Osterinseln –, sie holten Sklaven und verkauften sie in Südamerika. Aber von ihnen können die Botocudos nicht stammen, die analysierten Schädel sind älter. Stammten sie von anderen Sklaven? Es gab eine frühere Route, auf der Menschen aus Madagaskar verschleppt wurden – dort haben viele Bewohner auch polynesische Gene. Aber sie haben auch afrikanische, und die haben die Botocudos wieder nicht. Als Sklaven kamen sie nicht nach Brasilien. Doch als Wanderer, für die die Erde kein Ende hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.