Berichterstattung kann das Leben retten

Schatten
Schatten(c) www.BilderBox.com
  • Drucken

Eine Studie der Med-Uni Wien zeigt, dass in Artikeln über Suizide das traditionelle Rollenbild von Männern und Frauen verstärkt wird. Dies führt zu Mythen über suizidales Verhalten. Besser wären Lösungsansätze in den Berichten.

Wenn ein Journalist in die Tasten haut, will er mit seinem Artikel die Menschen erreichen. Welche Wirkung sein Bericht tatsächlich auf die Leser hat, macht er sich nicht immer bewusst. Besonders relevant ist die Frage bei Berichten über Suizide. So kam es in den 1980er-Jahren in Wien zu einer Häufung von Suiziden durch Sprung vor die U-Bahn. Die Medien berichteten über alle Details, woraufhin die Zahl der Fälle weiter anstieg. Seither gibt es quasi ein Stillschweigeabkommen zwischen Wiener Linien und den Medien, die Suizidfälle auf dem U-Bahn-Gleis sanken um 70 Prozent.

Die Wissenschaft nennt die Häufung von Suiziden nach Berichten über ebendiese Werther-Effekt, benannt nach Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werther“, nach dessen Erscheinen es einige Fälle von „Imitationssuizid“ gab. Inzwischen können Forscher vom Zentrum für Public Health an der Med-Uni Wien belegen, dass die Berichterstattung auch Gutes bewirken kann: Sie verglichen Berichte über Suizide in den elf größten Zeitungen und Zeitschriften mit der Zahl der Suizide in den darauffolgenden Tagen in allen Regionen Österreichs: Nach Artikeln, die lösungsorientiert geschrieben waren, in denen Personen gezeigt wurden, die suizidale Krisen bewältigen konnte, nahmen sich weniger Personen das Leben.

Berichte verzerren die Realität

Das Team um Thomas Niederkrotenthaler nennt dies den Papageno-Effekt, weil in Mozarts „Zauberflöte“ Papageno von den drei Knaben abgehalten wird, sich selbst zu töten. Nun hat das Wiener Team einen weiteren Schritt in Richtung Suizidprävention gemacht: Wieder wurden die heimischen Tageszeitungen durchforstet, wieder suchte man nach den Schlagworten Suizid, Selbstmord, Selbstötung. Diesmal wollten die Forscher wissen, welchen Unterschied es macht, ob über eine Frau oder einen Mann berichtet wird. Ausgenommen aus der Studie waren Berichte über Prominentensuizide.

„Die traditionellen Rollenbilder werden in den Medien verstärkt“, sagt Studienleiterin Brigitte Eisenwort von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Med-Uni Wien. Bei Männersuiziden wird auf Wut, Zurückweisung, Aggression fokussiert. Der Suizid wird eher als etwas Erwartbares dargestellt, als in der Natur des Mannes liegend. Frauensuizide dagegen werden mit vorsichtigeren Formulierungen beschrieben. Dabei sind Suizide bei Frauen seltener: Das Verhältnis der vollzogenen Suizide liegt für Frauen und Männer bei eins zu drei. Im Gegensatz dazu kommen bei Suizidversuchen drei Frauen auf einen Mann.

Die Formulierungen in den Zeitungen drehen sich bei Frauensuiziden eher um ihre soziale Art, um das familiäre Umfeld, es wird betont, wie ungewöhnlich suizidales Verhalten bei Frauen ist. Und es werden häufig psychiatrische Erkrankungen als Motiv genannt, oft abwertend und stigmatisierend beschrieben.
„Dieses Medienbild verzerrt die Realität“, sagt Eisenwort. Auch bei Männern sind psychiatrische Erkrankungen oft verantwortlich für den Suizid, doch darüber schreibt kaum jemand. „Würden die Medien nüchterner berichten, solche Erkrankungen nicht stigmatisieren, sondern aufmerksam machen, dass psychiatrische Erkrankungen behandelbar sind, ließe sich das Suizidrisiko reduzieren“, so Eisenwort. Stereotype Beschreibungen nähren bloß die Mythen über Suizidalität. Genau diese gilt es zu vermeiden, um gefährdete Menschen vom Suizid abzuhalten.

„Präsuizidales Syndrom“ nennt die Wissenschaft die Zeit vor einem Suizidversuch, während der viele Menschen gedanklich die Möglichkeit abwägen und in ihren Gefühlen zwischen Lebens- und Todesimpulsen wanken. In dieser orientierungslosen Phase kann ein Bericht über Auswege und Bewältigung von Krisen hilfreich sein.

Umdenken in der Gesellschaft einleiten

Die Sozialmediziner bieten deswegen für Journalisten eigene Workshops an, wie man Berichte über Suizide so formuliert, dass es zu weniger Werther-Nachahmern und zu mehr Papageno-Effekten kommen kann. Der Journalistenleitfaden zeigt einfach, welche Wörter und Schlagzeilen vermieden werden sollten („Selbstmord“, „Suizid-Epidemie“, „Selbstmord als letzter Ausweg“). Stattdessen sollte man „starb durch Suizid“, „nahm sich das Leben“ schreiben und stets auf Hilfsangebote hinweisen, die einfach und gratis zu erreichen sind.

„Man muss betonen, dass nichts dabei ist, sich an jemanden zu wenden. Das fördert ein Umdenken in der Gesellschaft: Mit jedem Artikel über einen Suizid sollte ein Bericht über gelungene Bewältigung verlinkt werden.“ Oder wie es die „Süddeutsche Zeitung“ bei ihrem Beitrag über den Tod von Robin Williams im August machte. Am Ende des berührenden Textes folgte die Anmerkung der Redaktion: „Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie umgehend die Telefonseelsorge.“ In Österreich geht das über die Notrufnummer 142.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.