Extreme Aggressivität kann genetischen Hintergrund haben

(c) EPA (ORESTIS PANAGIOTOU)
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Eine Studie an Gewaltverbrechern, die in den Gefängnissen Finnlands einsitzen, bestätigt das „Warrior Gene“: Eine Variante des Gens für MAOA steigert die Bereitschaft zu Mord und Totschlag stark. Aber es muss schon noch etwas dazukommen: Drogen, Alkohol vor allem.

Wie und wann wird ein Mensch extrem gewalttätig? Bringt er die Anlage schon mit zur Welt, wird ihm die Aggression von Eltern/Erziehern eingebläut, lebt er sich ein in eine Kultur der Gewalt? Die gibt es durchaus, bei Wilden, die so edel nicht sind, Indianern in Amazonien etwa, bei den Yanomani etwa kommt jeder dritte Mann blutig zu Tode, bei den Waorani sind es gar 60 Prozent, Männer wie Frauen, in Kämpfen zwischen Clans, die in Blutrache perpetuiert werden.

Aber in den meisten anderen Kulturen ist die äußerste Gewalt tabuisiert bzw. der Staat hat das Monopol darauf übernommen, um seine Bürger im Zaum zu halten. Totgeschlagen wird doch, so war es etwa am 16. Oktober 2006 in den Bergen von Tennessee: Dort saß Even Waldroup in einem Ferienhaus und wartete auf seine Frau, die kam mit den vier Kindern und einer Freundin. Bald gab es Streit, Waldroup war betrunken, aber nüchtern genug, die Kinder wegzuschicken, dann tötete er erst die Freundin seiner Frau, dann die selbst, einen vergleichbar blutigen Tatort hatte die Polizei noch nicht gesehen.

Der Staatsanwalt plädierte auf Mord – und Todesstrafe –, der Verteidiger rief einen Gutachter, einen forensischen Psychologen. Der erstellte nicht nur ein Psychoprofil des Angeklagten – inklusive bleibender Schäden durch als Kind erlittene Gewalt –, er ließ auch eine Genanalyse durchführen, die des Gens für Monoaminoxidase (MAOA), das ist ein Enzym, das im Gehirn am Abbau von Neurotransmittern beteiligt ist, etwa von Dopamin.

Überschuss an Neurotransmittern

Das ist das Gen, das 1993 als „Warrior Gene“ Schlagzeilen machte: Man hatte eine besondere Genvariante in einer niederländischen Familie gefunden, deren Männer von Generation zu Generation mordeten und vergewaltigten etc. Diese Variante stellte die Aktivitäten des Gens komplett still, MAOA wurde nicht produziert, das Dopamin wurde überhaupt nicht abgebaut, sein Überschuss stand vermutlich hinter der exzessiven Aggressivität. – Bestätigen konnte man das lange nicht. Zwar setzten sich Genetiker auf die Spuren von MAOA, aber die Variante in der niederländischen Familie war einzigartig, es gab sie sonst nirgends. Stattdessen fand sich neben der „normalen“ Variante eine andere, kürzere, nun wurde die mit Gewalt in Verbindung gebracht. Auch das war nicht gesichert, manche Studien fanden einen Zusammenhang, andere keinen, dritte fanden nur dann einen, wenn Ko-Faktoren im Spiel waren, etwa während der Kindheit erlittene Gewalt.

Das rettete Waldroup den Hals: Die Geschworenen stuften seine Taten als Totschlag ein, nicht als Mord. Dem würde Jari Tilhonen (Karolinska Institut, Stockholm) widersprechen, obgleich ihm und seinen Mitarbeitern nun der endgültige Nachweis dafür gelungen ist, dass die kurze Variante von MAOA – und noch ein zweites Gen: CDH-13, es ist in Zellmembranen aktiv – bei extremer Gewalt mitspielt. Dabei konnten sich die Forscher auf ein einzigartiges Probanden-Kollektiv stützen, die Insassen der 19 größten Gefängnisse Finnlands: 1004 Häftlinge wurden analysiert, darunter 583 Gewalttäter, darunter 84 extreme Gewalttäter, jeder mit mindestens zehn Bluttaten auf dem Buckel. sie brachten es in Summe auf 1154 Morde und Totschläge.

Phänotyp zählt, nicht Genotyp

Viele hatten die kurze MAOA-Variante (und/oder ein Risiko-CDH-13), manche hatten eine böse Jugend, andere nicht, die hatte also nichts mit der Aggressivität zu tun. Aber Drogen hatten damit zu tun, Alkohol vor allem (Molecular Psychology, 28. 10.). Das bringt die Forscher zur Empfehlung, nach Haftentlassungen den Drogenkonsum auf Dauer zu kontrollieren. Eine Einschränkung der Schuldfähigkeit hingegen wollen sie aus den Genen nicht „per se“ abgeleitet wissen – „beim Beurteilen eines Täters geht es um die aktuelle geistige Fähigkeit, den Phänotyp, und nicht um Risikofaktoren wie den Genotyp“ –, ein präventives Gen-Screening ganzer Populationen schon gar nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2014)

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