Carbon: Diagnose für müde Materialien

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In einem neuen Christian-Doppler-Labor an der Uni Linz entwickeln Forscher ein System, das Leichtbaumaterialien im Betrieb überwacht. Es soll auch Reparaturmaßnahmen vorschlagen.

Ein Flugzeug steht in der Sahara-Sonne. Die nur zwei Millimeter dünne Außenhaut erwärmt sich auf rund 80 Grad Celsius. Dann hebt es ab. Die Lufttemperatur sinkt auf bis zu minus 60 Grad Celsius, der Luftdruck in der Kabine steigt. Die Flügel schwingen im Flug, und mit der Landung steht schon die nächste Belastungsprobe für das Material bevor.

„Im Flugzeugbau muss man noch viel mehr an die Grenze gehen als bei anderen Leichtbauanwendungen“, sagt Martin Schagerl, der das Institut für Konstruktiven Leichtbau an der Uni Linz leitet. Noch leichter, noch dünner lautet die Devise. Das Material muss besonderen Belastungen standhalten, die Sicherheitsanforderungen sind gerade bei Flugzeugen besonders hoch. Auf der anderen Seite hilft ein geringes Gewicht, Treibstoff und Co2-Emissionen zu sparen.

Im Fokus des wissenschaftlichen Grenzgangs der Linzer Leichtbau-Ingenieure stehen aktuell Flugzeuge und Autos. Sie arbeiten dabei mit Vertretern verschiedener Disziplinen zusammen: „Wir sind Teil des Mechatronikfachbereichs, das Sensorik- und das Messtechnik-Institut sind direkte Nachbarn“, so Schagerl. Außerdem hat die Uni den Schwerpunkt Kunststofftechnik in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut.

Mit einem neuen Christian-Doppler(CD)-Labor für Strukturfestigkeitskontrolle von Leichtbaukonstruktionen geht man nun noch einen Schritt weiter. Gemeinsam mit drei Industriepartnern – BMW, Mubea Carbo Tech und FACC Operations – will man ein System schaffen, das während des Flugbetriebs oder bei Autos während der Fahrt Daten zum Zustand des Materials liefert.

Messsystem schlägt Alarm

„Wir wollen Flugzeuge oder auch Autos mit Sensoren bestücken. Das Messsystem soll Alarm schlagen, wenn ein Bauteil ein Problem hat“, sagt Schagerl. Eine exakte Diagnose ist gefragt: Wo ist der Schaden? Um welchen Schaden handelt es sich genau? Wie groß ist etwa ein Riss im Inneren? Aber nicht nur das: Die Vision der Forscher ist, dass das System konkrete Handlungsempfehlungen anbietet. Bisherige Systeme versuchen in erster Linie, den Schaden zu erkennen, das greife zu kurz: „Wir wollen nicht nur wissen, ob es ein Problem gibt, sondern auch, wie die Prognose aussieht.“

Es geht also auch darum, wie es mit dem ermüdeten Material eines Flugzeugs oder Autos weitergehen soll: Wie weit kann man noch fliegen oder fahren? Welche Reparatur ist notwendig? Eine solch umfassende automatisierte Beobachtung, die Schäden im laufenden Betrieb nicht nur analysiert, sondern auch bewertet, gibt es bislang nicht.

Gerade in der Luftfahrt sind technische Kontrollen an sich streng geregelt, und auch die Piloten inspizieren die Flugzeuge regelmäßig. Schäden an den dünnwandigen Bauteilen sind aber oft von außen schwer erkennbar: „Auch Metalle ermüden mit der Zeit, dort bilden sich aber meist gut erkennbare Risse oder Dellen“, sagt Schagerl. Kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff, kurz als Carbon bezeichnet, zeige kein so klares Schadensbild: Das Material sei aus vielen laminierten Schichten aufgebaut. Die Fasern können zerrütten, das Material sich innen auflösen, ohne dass von außen Schäden klar erkennbar sind.

Vogel gegen Flugzeug

„Wenn etwa ein Vogel auf ein Flugzeug prallt, merkt das der Pilot oft gar nicht. Das kann aber bereits Schäden am Flugzeug erzeugen“, so der Forscher. Dann sei ein System gefragt, das die gesamte Struktur checkt und online und in Echtzeit, also „live“, Messdaten liefert.

Bevor der Maschinenbauer ab dem Jahr 2009 sein Institut in Linz aufbaute, war er sieben Jahre lang in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei Airbus in Hamburg tätig. Auch für einen wissenschaftlich tätigen Techniker sei Industrieerfahrung unendlich wertvoll: „Man sieht Dinge, die kann man nicht in Büchern lesen“, sagt Schagerl. Bei Airbus entwickelte er auf Hochleistungscomputern Berechnungsmethoden für Flugzeuge, darunter auch für den A350, das erste Großraumflugzeug von Airbus mit einem Rumpf ganz aus Carbon.

Durchgerüttelt und ermüdet

Auch jetzt werden die Methoden am Computer entwickelt. Finite-Elemente-Methoden, ein numerisches Verfahren zur Lösung komplexer Differentialgleichungen, dienen als Werkzeug für die Maschinenbauer. Um die Modelle zu überprüfen, gibt es am Institut einen Versuchsstand. Dort werden Bauteile systematisch belastet.

Wichtig sind vor allem zwei Größen: Bei der statischen Festigkeit geht es darum, wann Bauteile unter großen Lasten brechen. Bei der Ermüdungsfestigkeit untersuchen die Forscher, wie etwa ständiges Rütteln auf das Material wirkt. „Auch kleine, aber permanente Belastungen können das Material schädigen“, so Schagerl. Auch wenn Carbon derzeit stark gefragt ist, hat der Leichtbauingenieur keine Präferenz für ein bestimmtes Material: „Hauptsache, das Gewicht stimmt“, sagt er schmunzelnd.

Neben den Flugzeugen liegt der Fokus im CD-Labor auf Autos, BMW ist prominenter Projektpartner. Hier ginge es vor allem um Sicherheit, aber auch darum, die Qualität des Materials weiter zu verbessern. Eine andere Anwendung für den Leichtbau sind Windkraftwerke. Hier sei das Potenzial groß. Der klassische Leichtbau kommt jedoch aus der Luft- und Raumfahrt. „Bei Raketen ist man so nah am Limit, da zählt jedes Gramm weniger. Man muss tief in die technische Trickkiste greifen, um sie in den Orbit zu bringen“, sagt Schagerl. Da und dort gelte jedenfalls: „Es gibt noch Raum nach oben.“

LEXIKON

Carbon ist die umgangssprachliche Bezeichnung für kohlenstofffaserverstärkten Kunststoff – ein Verbundstoff, bei dem Kohlenstofffasern eingearbeitet sind. Bauteile aus Carbon sind leicht, aber zugleich stabil. Daher ist der Werkstoff in der Flugzeug- und Automobilbranche besonders gefragt.

In Christian-Doppler-(CD)-Labors wird anwendungsorientierte Grundlagenforschung betrieben. Wichtigster Fördergeber ist das Wissenschaftsministerium. Das neue CD-Labor in Linz ist für sieben Jahre genehmigt. Das Budget beträgt 2,5 Millionen Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2014)

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