Japan: Frischer Spinat aus Fukushima

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Der Österreicher Georg Steinhauser nutzte einen Forschungsaufenthalt für einen Selbstversuch. Der „Presse“ hat er erzählt, was ihn an Radioaktivität fasziniert.

Presse: Sie waren sechs Wochen lang in Fukushima und haben dort nur Leitungswasser getrunken und Produkte aus der Region gegessen. Wie geht es Ihnen?

Steinhauser: Danke, gut. Ich komme direkt von der Untersuchung, und Cäsium-137 war in meinem Körper nicht einmal ansatzweise nachweisbar. Auch sonst war nichts auffällig. Ich habe sogar fast vier Kilo abgenommen, weil die Kaloriendichte in Japan mit viel Gemüse und Fisch weit geringer ist. Ich habe mein Essen nur im lokalen „Solidarität mit Fukushimas Bauern“-Supermarkt gekauft. Auch bei Schwammerln und Beeren, die Cäsium ja besonders anreichern, habe ich zugegriffen.

Warum haben Sie das gemacht?

Ich war mir ziemlich sicher, habe es aber freilich nicht genau wissen können, dass das das Ergebnis sein würde. Oder, wenn es nachweisbar sein würde, nur in einer sehr kleinen Menge. Dass wirklich gar nichts messbar ist, freut mich sehr, weil es zeigt, dass die japanischen Lebensmittel in einer Art und Weise überwacht werden, dass auch für die Bevölkerung keine Gefahr besteht.

Wollten Sie also der Bevölkerung einen Gefallen erweisen?

Das alles ist ein Trauma für die gesamte Region. Auch der durchschnittliche Japaner kauft lieber Pilze, auf denen nicht Fukushima draufsteht. Das kann man nachvollziehen. Das Riesenpech war, dass das Kraftwerk den Namen Fukushima trägt. Es hätte eigentlich Futaba heißen sollen, nach einem kleinen Ort an der Küste. Die Präfektur hat sich vorgedrängt und wollte Promotion. Und das passiert jetzt auch, aber im allernegativsten Sinn. Das bricht den Menschen das Genick.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das bei sich selbst auszuprobieren?

Das ist irgendwie naheliegend, oder? Man hat mir gern nachgesagt, dass ich die Folgen verharmlose, alles schönrede und im Sold der Atomlobby stehe. Einmal wurde ich gefragt, ob ich Spinat aus Fukushima essen würde. Und ich habe gesagt: „Wenn er aus dem Supermarkt kommt, selbstverständlich.“

Wie hat Ihr privates und berufliches Umfeld auf Ihren Selbstversuch reagiert?

Ich habe nicht viel darüber geredet, weil das nur eine Anekdote ist, auch wenn sie sich jetzt gut erzählen lässt. Allein die Tatsache, dass ich nach Fukushima fahre, hat gereicht. Das hat den Menschen den Angstschweiß ins Gesicht getrieben.

Hat die Familie das gar nicht gewusst?

Mein engeres Umfeld weiß, dass ich ein Freak bin. Es gibt in Österreich wenige Leute, die sich so leidenschaftlich mit dem Thema Radioaktivität beschäftigen wie ich. Da haben dann hoffentlich die engeren Verwandten und Freunde doch Vertrauen, dass ich weiß, was ich tue. Und recht habe ich gehabt. Es ist nichts herausgekommen. Ich hätte noch mehr Schwammerl essen können.

Meinen Sie also, das wird aus europäischer Perspektive überbewertet?

Ich würde nicht sagen überbewertet. Es gibt einen Landstrich, der auf Jahrhunderte unbewohnbar ist. Das als Überbewertung zu bezeichnen wäre zynisch. Aber die Japaner haben alles getan und tun weiterhin alles, um die Bevölkerung vor Schäden zu schützen.

Sind die belasteten Orte nicht bekannt?

Ja, es wird kartiert ohne Ende. In Japan bauen sich die Leute kleine Gamma-Detektoren ins Auto ein und sammeln auf jedem Feldweg Messwerte. Crowd Science, sozusagen. Es gibt keine weißen Flecken mehr, man weiß mittlerweile ganz genau, wo es Belastungen gibt. Ich selbst bin nach Fukushima gefahren, weil ich Bodenproben untersucht habe.

Was interessiert Sie wissenschaftlich?

Ich schaue mir gern die Sachen an, die sich andere Leute nicht anschauen: die mühsamen Radionuklide, das Strontium-90 und das Plutonium. Mühsam, weil man sie nicht findet, indem man sie auf den Detektor legt und den Startknopf drückt. Man muss eine sehr aufwendige chemische Auftrennung machen. Von der Probe zum fertigen Ergebnis sind es etwa 40 Arbeitsschritte, eine auslaugende Tätigkeit. Sieben Tage die Woche und von vor Sonnenaufgang bis nach Sonnenuntergang im Labor zu sein – das ist wie Einzelhaft.

Warum Strontium und Plutonium?

Es geht um die Geschichten dahinter, wie es zu diesen Freisetzungen kommt. Aufgrund der Unfalldynamik hätte man nicht erwartet, dass da viel herauskommt. Der Probenort liegt nördlich des Reaktors, in Minamisoma. In unseren bisherigen Untersuchungen haben wir dort fast gar kein Cäsium-137 oder -134 gefunden, aber dafür relativ hohe Werte an Strontium-90 und Plutonium. Das waren Proben aus 2011, und wir versuchen jetzt herauszufinden, was dort los war. Wir können uns zum Teil Einblick verschaffen, wie der Unfall abgelaufen ist, wie die Belastungen innerhalb und außerhalb des Kontaminationsstreifens in nordwestlicher Richtung sind. Bis wir Ergebnisse haben, dauert es aber noch.

Gab es diese Messungen noch nicht?

Dafür fehlte zum Teil das Interesse, aber auch Ressourcen und Geduld. Die Japaner waren bisher primär damit beschäftigt zu erfassen, was eine absolute und eine unmittelbare Gesundheitsgefahr für die Bevölkerung darstellt. Das Cäsium liegt etwa den Faktor 10.000 über dem Strontium-90 und etwa den Faktor eine Million über dem Plutonium.

Warum sind Strontium und Plutonium für den Menschen relevant?

Weil sie in die Knochen gehen. Und dort bleiben sie. Das kann zu Leukämie, Knochenkrebs und derartigen Erkrankungen führen. Man bekommt das gar nicht mit.

Woher kommt die große Leidenschaft für das Thema Radioaktivität?

Ich bin generell begeisterungsfähig. Es hätte vielleicht auch etwas anderes sein können. Es ist ein sehr geradliniges Thema. Ein Kollege hat es einmal so ausgedrückt: Die Wissenschaft wird jetzt gewissermaßen digital, und die Radioaktivität ist analog geblieben. Man hat nach wie vor eine starke Bodenhaftung und bewegt sich nicht in einem Bereich, der nicht mehr verstehbar ist, sich nur aus einer mathematischen Gleichung ergibt.

Sie selbst sind ja einem Ruf nach Colorado gefolgt. Fehlen in Österreich Experten für diesen Bereich?

Ja, natürlich. Bei einem schweren Reaktorunfall in Europa würde heute viel Expertise fehlen. Bis Fukushima war mein Fach sterbend. Das Feld ist generell sehr alt geworden. Es hat begonnen mit Tschernobyl und setzt sich jetzt mit Fukushima fort. Das hat sicher eine ganze Generation vertrieben. Ich bin jetzt 35und auf Konferenzen meines Fachs mit Abstand der Jüngste. Die Generation vor mir fehlt fast völlig. Die Leute, die einladen, sind meist mindestens 65, das geht hinauf bis 85.

Ist das also international auch so?

Ja, das zieht sich durch. Die TU Wien betreut ja zum Beispiel auch Studenten aus Manchester, weil die University of Manchester nicht mehr die Expertise hat, um Reaktorphysik an einem Forschungsreaktor auszubilden.

Wie geht es mit Ihrer Forschung weiter?

Wir sind die Allerersten, die Grundwasserproben vom Kraftwerksgelände bekommen. Das ist gar nicht leicht, wir haben jetzt das Aviso bekommen, dass es klappen wird. Es ist ein gemeinsamer Antrag von Vertretern aus Japan und dem sonstigen Ausland. Ich hoffe, das startet bald, vielleicht im Jänner. Da reden wir dann wieder.

ZUR PERSON

Georg Steinhauser (35) studierte Chemie an der Uni Wien und promovierte 2005 am Atominstitut der TU Wien in Radiochemie. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Uni München war er wieder am Atominstitut tätig, zuletzt als stellvertretender Reaktorbetriebsleiter. 2010 zeichnete ihn die Österreichische Akademie der Wissenschaften mit dem Bader-Preis für die Geschichte der Naturwissenschaften aus. 2013 folgte der Ruf an die Colorade State University, USA, wo er seither mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebt. [ Colorado State University ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2014)

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