Wald: Bäume verdursten im Winter fast

Embolien erkennt man mit Schallwellen: Im Inneren dieser Zirbe wird der Wasserdurchfluss gemessen.
Embolien erkennt man mit Schallwellen: Im Inneren dieser Zirbe wird der Wasserdurchfluss gemessen.Stefan Mayr
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Im Winter scheinen Nadelhölzer an der Waldgrenze nahe am Verdursten, im Frühjahr entrinnen sie jedoch dem Tod. Ein Innsbrucker Forscherteam ist diesem Phänomen auf der Spur.

Der Arbeitsplatz von Stefan Mayr und seinem Team wechselt im Winter zwischen tief verschneitem Hochgebirge und Labor. Die Ökophysiologen der Uni Innsbruck erforschen seit zehn Jahren Phänomene im Wasserhaushalt von Nadelbäumen an der Waldgrenze: den alljährlich wiederkehrenden Zusammenbruch des Leitungssystems, Embolie, im Winter und dessen Wiederherstellung, Refilling, im Frühjahr.

Bei der Embolie weiß man inzwischen, wie sie entsteht: Wenn sich der Baum zur CO2-Aufnahme oben öffnen muss, verdunstet auch Wasser. Durch diese kontinuierliche Wasserentnahme entsteht im Leitungssystem des Baumes ein Sog, und Flüssigkeit wird unten durch die Wurzeln aufgenommen. Ein gesunder Baum hat somit durchgehende Wassersäulen von der Wurzel bis zur Spitze. Kleine Spaltöffnungen an den Nadeln regulieren das Gleichgewicht zwischen der notwendigen CO2-Aufnahme und dem unvermeidlichen Wasserverlust: quasi zwischen Verhungern und Verdursten.

Bei Bäumen an der Waldgrenze kann während der Wintermonate allerdings kein Wasser aus dem Boden nachgeliefert werden, weil er gefroren ist. An der Nadeloberfläche geht aber Wasser verloren, es kommt zur Frosttrocknis. Früher oder später reißen die Wassersäulen und es gerät Luft ins System – die besagte Embolie. Dieses Phänomen tritt in trockenen Gebieten, aber auch im Gebirge auf. „Je näher zur Baumgrenze, desto mehr Embolien treten auf. Das ist allerdings artspezifisch und von der Witterung abhängig“, sagt Mayr. Artspezifisch ist auch der negative Druck, der dabei in den Gehölzen auftreten kann. Bei einer Fichte sind es bis zu minus 40 bar, beim Wacholder sogar bis zu minus 70. Mayr: „Nur zum Vergleich: Ein Autoreifen wird mit ungefähr zwei bar aufgepumpt. Auf den Zellwänden des Leitsystems im Baum lasten unvergleichlich höhere Druckdifferenzen. Das Spannende ist, dass die pflanzlichen Strukturen diese Kräfte aushalten können.“

Reparatur beginnt sehr früh

Noch viel faszinierender ist für die Wissenschaftler des Botanischen Institutes der Uni Innsbruck, dass sich dieses System immer wieder von selbst repariert. „Genau dann, wenn die Bäume in die Vegetationsperiode gehen, funktioniert das Transportsystem wieder“, erklärt Mayr. Wie das passiert, gibt den Forschern Rätsel auf. Weltweit beschäftigen mehrere Gruppen sich mit dem Phänomen des Refilling. Fest steht, dass die Bäume mit der Reparatur schon starten, bevor der Boden zu tauen beginnt. Das Wasser, das zur Füllung der Leitungen benötigt wird, dürfte zu einem Teil über die Nadeln aufgenommen werden, wenn der Schnee schmilzt.

Das konnte das Innsbrucker Team in Experimenten nachweisen. So dürfte schrittweise der negative Druck in den Leitungen verringert werden. Mayr: „Der negative Druck sinkt von etwa minus 40 auf minus zehn bar. Damit ist der Zustand im Leitungssystem schon relativ entspannt.“ Doch wie genau die vollständige Reparatur vor sich geht, davon hat man nur eine vage Vorstellung.

Prinzipiell betreiben die Innsbrucker Grundlagenforschung. Allerdings stellte sich bei einem Forschungprojekt in Südtirol heraus, dass im Winter das Wassertransportsystem auch bei Apfelbäumen beeinträchtigt sein kann. „Wir konnten von unseren Erfahrungen mit den Koniferen an der Waldgrenze ableiten, dass Apfelbäume unter bestimmten Voraussetzungen auch Frosttrocknis erleiden“, sagt Mayr. Im Gegensatz zu den Nadelbäumen im Gebirge erholen sich diese aber nicht mehr. Für die Südtiroler Apfelbauern wurde daher ein Katalog mit Maßnahmen zur Vermeidung von Winterschäden erstellt.

LEXIKON

Spaltöffnungen (Stomata) sind Poren in der obersten Schicht von Blättern oder Nadeln. Über diese geben Pflanzen einerseits Wasser ab, nehmen andererseits aber auch CO2 zur Fotosynthese (Energiegewinnung) auf. In extremen Lagen wie Wüsten oder Hochgebirge im Winter geraten Pflanzen in ein Nahrungs-Wasser-Dilemma. Einerseits sollten sie über die Spaltöffnungen CO2 aufnehmen, gleichzeitig drohen sie dadurch aber zu verdursten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2014)

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