Gerichtsmedizin: Schlechte Zeiten für CSI in Österreich

(c) Michaela Bruckberger
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Der Gerichtsmedizin fehlt der wissenschaftliche Nachwuchs. Für Ermittlungen in der Praxis müsse die Forschung gesichert werden, sagt der Österreichische Wissenschaftsrat.

War es ein Unfall oder doch Mord? Stand der Täter unter Drogeneinfluss? Hat er seine DNA-Spur am Tatort hinterlassen? Fragen, die sich der Polizei stellen und die Gerichtsmediziner in ihrer Arbeit beantworten. Die Basis dafür ist medizinische und naturwissenschaftliche Forschung am neuesten Stand. Und die sieht der Österreichische Wissenschaftsrat in seiner neuesten Empfehlung, die gestern in Wien präsentiert wurde, gefährdet.

„Erkenntnisse aus der Gerichtsmedizin liefern eine wichtige Grundlage für die Rechtssicherheit in einem Land, und damit auch für die Rechtspflege“, sagt Guido Adler. Der Heidelberger Mediziner ist Vorsitzender des medizinischen Ausschusses des Wissenschaftsrates. Ziel einer Studie war es nun, die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit der medizinischen Universitäten Österreichs in der Gerichtsmedizin festzustellen und Empfehlungen für Forschung, Lehre und Dienstleistungen abzugeben. Dazu gab es Expertendiskussionen und Interviews mit Gerichtsmedizinern und Juristen. Ergänzt wurden die Darstellungen durch Daten aus den Universitäten.

Das Resultat: Es brauche eine Stärkung der universitären Gerichtsmedizin in Österreich, fordert der Wissenschaftsrat. Wie prekär ist die Situation nun tatsächlich? „Ein ganz zentrales Problem ist das Fehlen des wissenschaftlichen Nachwuchses“, sagt Adler. „Wenn es keinen Nachwuchs gibt, dann stirbt ein Fach.“

Nur sechs Ärzte in Ausbildung

Derzeit gibt es in Österreich nur 30 Fachärzte, davon stehen viele kurz vor der Pension. In den letzten sechs Jahren wurden österreichweit nur vier Fachärzte für Gerichtsmedizin geprüft, derzeit sind insgesamt nur sechs in Ausbildung. Das sei zu wenig, um den Bedarf auf Dauer zu decken, so Adler.

Ein Problem dabei seien die fehlenden Perspektiven für Junge, sagt der Salzburger Jurist Walter Berka, stellvertretender Vorsitzender des Österreichischen Wissenschaftsrats. „Das Interesse ist da, aber es gibt kaum Karrieremöglichkeiten.“ Dabei gäbe es auch außerhalb der Universitäten Bedarf an Fachärzten für neue Berufsfelder: Gerichtsmediziner könnten zur Spurensicherung in Tatort-Teams mitarbeiten, auch Amtsärzte mit gerichtsmedizinischer Ausbildung wären gefragt. Es geht vor allem um die Ressourcen: Aus finanziellen Gründen gibt es aber etwa in Wien derzeit überhaupt keine Ausbildungsplätze.

Schwindender Nachwuchs lässt laut dem Bericht auch Kriminalistiker einen Wissensrückgang befürchten. „Es braucht die jungen Leute, auch, weil sie mit frischen Ideen kommen“, sagt Adler. Forschungsaktivitäten sollten gezielt gefördert werden, um die beruflichen Möglichkeiten zu erweitern, ein akademisches gerichtsmedizinisches Karrieremodell mit der Möglichkeit einer Schwerpunktsetzung in der Forschung etabliert werden.

Überhaupt müsse die Gerichtsmedizin ein Pflichtfach in der Lehre der Med-Unis sein, fordert der Wissenschaftsrat. Denn Gerichtsmedizinisches Wissen werde nicht nur an den Unis gepflegt, auch ein Hausarzt brauche Wissen aus der Gerichtsmedizin: Er müsse erkennen, ob jemand von der Treppe gestürzt ist oder ob es sich bei einer Verletzung um häusliche Gewalt handeln könnte. Auch um Kindesmisshandlungen, sexuellen Missbrauch oder Vergewaltigung zu erkennen, brauche es eine entsprechende Sensibilisierung.

Es fehlen die Leichen

Dabei handle es sich um Fragen, die von keinem medizinischen Fach allein beantwortbar seien. Meist sind in gerichtsmedizinischen Instituten daher forensische Pathologie, klinische Rechtsmedizin, Alkohologie, forensische Molekulargenetik oder forensische Toxikologie vertreten. Die Wissenschaftler arbeiten außerdem eng mit Verkehrsmedizinern, Unfallforschern, Medizinjuristen oder Versicherungsmedizinern zusammen. Um die Forschungsthemen in der Gerichtsmedizin voranzutreiben, schlägt der Wissenschaftsrat daher auch vor, interdisziplinäre Doktoratskollegs einzurichten.

Der Gerichtsmedizin fehlt es aber nicht nur an Nachwuchs, sondern auch an Leichen: In Wien ist die Zahl der Obduktionen in den letzten Jahren von rund 3000 auf 400 zurückgegangen. Auch um Lehre und Forschung weiterzuentwickeln, müssten sanitätsbehördliche Obduktionen, also Obduktionen bei unklarer Todesursache, an den universitären gerichtsmedizinischen Instituten durchgeführt werden.

Die vier Standorte in Wien, Graz, Salzburg und Innsbruck dürften aber nicht in Frage gestellt werden. Eine gewisse regionale Verteilung sei notwendig, so Berka. Wo gibt es also Einsparpotenzial? Indem man bestimmte Stärken nur an bestimmten Standorten weiterentwickelt: etwa die DNA-Analyse in Innsbruck oder die Toxikologie in Salzburg. Insgesamt sieht man dringenden Handlungsbedarf: „Im schlimmsten Fall werden Straftaten nicht entdeckt, Todesfälle nicht richtig aufgeklärt“, warnt Berka.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2014)

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