Superti-Furga: „Unser Genom ist nicht unser Schicksal“

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Das Projekt „Genom Austria“ will Menschen zum aktiven Umgang mit ihrer Erbinformation anregen. 20 Freiwillige können im kommenden Jahr ihr Genom entschlüsseln lassen. Die Daten ihrer Erbinformation stehen dann öffentlich zur Verfügung.

„Unser Genom ist kein Horoskop.“ Dieser und anderen Fehlinterpretationen von Information über unsere Erbanlagen will das diese Woche gestartete Projekt „Genom Austria“ ein Ende setzen – wie „Die Presse“ bereits berichtete. Das Projekt soll eine öffentliche Diskussion über den Umgang mit genetischer Information anstoßen.

Das Genom von 20 freiwilligen „Pionieren“ wird im Laufe des kommenden Jahres vollständig sequenziert, und der gesamte Datensatz wird auf der Webseite des Projekts (www.genomaustria.at) zum freien Download zur Verfügung stehen. Dazu gibt es grafische Darstellungen und Anleitungen zur Verwendung einfacher wissenschaftlicher Programme, um durch die Sequenzen zu „schmökern“, sowie Analyseergebnisse und Informationen, inwieweit diese im Zusammenhang mit gewissen Merkmalen des jeweiligen Individuums stehen.

Die Teilnehmer können selbst entscheiden, wie viel persönliche Information sie preisgeben wollen und werden im Vorhinein auch ausführlich über Chancen und Risken der Sequenzierung informiert. Damit nimmt die Initiative eine Situation vorweg, die in naher Zukunft medizinischer Alltag sein wird: Denn die Sequenziertechnik hat sich in den letzten fünf bis sechs Jahren so rasant weiterentwickelt, dass die routinemäßige Erfassung des Genoms von Patienten schon heute möglich wäre.

Diskriminierung droht

Ungeklärt ist allerdings zum größten Teil die korrekte wissenschaftliche Interpretation der Daten sowie der adäquate ethisch-gesellschaftliche Umgang mit dem neu gewonnenen Wissen über das genetische Selbst. Jede Sequenzierung kann unerfreuliche Resultate mit sich bringen. Soll der Patient darüber aufgeklärt werden? Und wie? Sogar die Möglichkeit, aufgrund gewisser genetischer Veranlagungen diskriminiert zu werden, steht im Raum.

„Diese Gefahr dürfen wir nicht verleugnen. Wir müssen schon heute Rahmenbedingungen erarbeiten, um das zu verhindern“, betont Giulio Superti-Furga, Molekularbiologe am Zentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und einer der wissenschaftlichen Leiter von „Genom Austria“. „Wir sind als demokratische Gesellschaft frei darin zu entscheiden, was wir mit den neue Technologien anfangen wollen – und auch was nicht. Darüber muss es einen regen gesellschaftlichen Diskurs geben, und diesen soll das Projekt anstoßen.“

Ziel ist nicht nur, die Berührungsangst zu nehmen, sondern auch eine Entmystifizierung der genetischen Information zu erwirken. „Anhand der konkreten Beispiele soll deutlich werden, was man aus einem Genom lesen kann, aber auch, was nicht. Unser Genom ist nicht unser Schicksal“, erklärt Projektleiter Christoph Bock von der Med-Uni Wien.

Tatsächlich ist der größte Teil unseres Wissens über die Auswirkungen von Veränderungen im Genom eher statistischer Art: Gewisse Varianten eines Gens bedingen eine höhere Wahrscheinlichkeit, eine Krankheiten zu bekommen, im einzelnen Individuum muss das aber überhaupt keine Auswirkung haben. Wesentlich ist für die Entstehung von Krankheiten vor allem auch der Einfluss der persönlichen Lebensumstände wie unter anderem der Ernährung. Auch die genaue Regulation der jeweiligen Gene spielt mit, diese Erforschung steckt noch in den Kinderschuhen.

Verwandtschaft mit der Maus

Wie man heute weiß, ist es vor allem diese komplexe Regulierung – wann welches Gen aktiv ist –, die den Menschen von anderen Tieren unterscheidet, und nicht allein die Sequenz oder Anzahl der Gene. So ist die Maus mit uns genetisch zu über 85 Prozent ident, aber eben noch lange kein Mensch.

Begleitet wird das Projekt von Vortragsreihen, Schulprojekten und juristischer, soziologischer und ethischer Expertise. „Genom Austria“ ist zudem als erste Initiative in Kontinentaleuropa Mitglied des Global Network of Personal Genome Projects (http://personalgenomes.org) und soll auch damit eine Vorreiterrolle bei der Entwicklung von Normen im Umgang mit genetischer Information einnehmen.

LEXIKON

Einzelnukleotid-Polymorphismus oder SNP bezeichnet eine Variation eines einzelnen Basenpaares einer DNA-Sequenz. SNP sind geerbte und vererbbare genetische Varianten, die individuell verschieden sind. Sie können die Funktion von Genen beeinflussen, müssen aber nicht.

Das Projekt „Genom Austria“ kann solche SNP-Mutationen sichtbar machen. Die Freiwilligen erfahren durch die Sequenzierung mehr über ihre Herkunft, Abstammung und potenzielle Gesundheitsrisken. Die ersten Freiwilligen sind Molekularbiologe Giulio Superti-Furga als PGA-1 (Personal Genome Austria 1) und Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny als PGA-2.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2014)

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