Krankheitserreger: Mit dem Feind leben

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Das Heer der Krankheitserreger ist unbesiegbar, ständig kommen neue. So mag es klug sein, sie zu tolerieren – und auf gemeinsame Interessen zu setzen.

Als man glaubte, der Schrecken sei gebannt, kam HIV. Der Schrecken war der der Krankheiten, die auf einen Schlag halbe Populationen auslöschten, bisweilen mehr. Dass das mit der Umwelt zu tun hatte, mit Kontakt mit anderen Menschen und Tieren, merkte man früh: In Babylon musste Strafe bezahlen, wessen Hund tollwütig um sich biss, bei den Mongolen kam unter Quarantäne, wer von der Jagd zurückkehrte, oder vom Fallenstellen. Aber erst der italienische Arzt Girolamo Fracastoro fasste es 1530 in Worte: „Syphilis, sive morbus gallicus“ hieß das Lehrgedicht, in dem es um Krankheitsüberträger ging: „Samen“.

Die bekam 1683 Antoni van Leeuwenhoek erstmals zu Gesicht, nicht die von Syphilis, sondern harmlose in seinem eigenen Zahnbelag, den er unter das von ihm verbesserte Mikroskop legte, er nannte sie „animalcule“. 1796 gelang Edward Jenner die erste Impfung – Kuhpocken gegen Pocken –, und als Mitte des 19. Jahrhunderts die Giganten wetteiferten, Louis Pasteur und Robert Koch, hießen die Erreger schon „Bakterien“ oder, breiter, „Keime“.

Aber der Ruhm der Pioniere ging nur mit halbem Recht an Pasteur und Koch, früher schon hatten heute fast vergessene Pflanzenforscher das Gleiche entdeckt, 1803 beschrieb Benedict Prevost einen Mikroorganismus – einen Pilz – als Erreger des Steinbrands des Weizens, 1853 gelang Heinrich DeBary das Gleiche bei der Kartoffelfäule, die kurz zuvor Irland entvölkert hatte.

Zudem war mit Pasteur und Koch die Schlacht noch nicht gewonnen, im Gegenteil. 1918/19 schlug die Grippe zu wie noch nie, erst ein Zufallsfund in den Dreißigerjahren wendete das Blatt, der des Penizillins. Dieses und andere Antibiotika wirkten solche Wunder, dass sich in den Sechzigerjahren das Ende der Infektionskrankheiten abzeichnete, bakteriologische Abteilungen an Universitäten wurden geschlossen, andere Schrecken rückten in den Vordergrund, 1971 rief US-Präsident Richard Nixon zum „Kreuzzug gegen Krebs“.

Aber dann kam, 1982, ein ganz neues Leiden, in Afrika traf es Heterosexuelle, in den USA Homosexuelle (und Fixer), in Afrika nannte man es „Slim“ – die Opfer wurden so dünn –, in den USA Aids. Dann kamen Ebola und Marburg und Rinderwahn und Creutzfeldt-Jacob, und dann kam, 1997, die Vogelgrippe H5N1. Nun war es vorbei mit dem Sieg. Anno 2000 zog die Bakterienautorität des 20. Jahrhunderts, Joshua Lederberg – er erhielt 1958 den Nobelpreis –, die Konsequenz und blies zum Rückzug bzw. zum Strategiewandel: „Teach War No More!“ (Science 288, S.287) Man möge Mikroorganismen nicht länger als Feinde betrachten, man könne sie ohnehin nie besiegen und solle lieber Formen der Koexistenz suchen, mit denen beide Seiten leben können. Das war so utopisch nicht, die Kraftwerke unserer Zellen („Mitochondrien“) waren einmal frei lebende Bakterien, die Energiesammler der Pflanzen („Chloroplasten“) waren es auch.


Abwehr? Duldung! Doch so rasch geht eine Verbrüderung auch wieder nicht. Erst in letzter Zeit keimt Hoffnung auf zumindest Teilentspannung, den Anfang machten wieder Botaniker: Sie bemerkten, dass Pflanzen neben der geläufigen Strategie der Abwehr eine zweite praktizieren, die der Duldung bzw. Toleranz. Abwehr will Eindringlinge ausschalten, bei uns ist dafür das Immunsystem mit seinen Waffen zuständig. Aber die können überschießend reagieren und Zusatzschäden anrichten, „Immunopathien“ (nicht zu verwechseln mit Autoimmunkrankheiten, bei denen sich die Abwehr gegen den Körper wendet): Entzündungen etwa schädigen Gewebe. Toleranz hingegen lässt Eindringlinge gewähren und macht sich an die Reparatur der Schäden, das verhindert zudem den Rüstungswettlauf zwischen beiden Seiten, es bremst ihn zumindest ein: Ein Bakterium, das nicht von Antibiotika attackiert wird, muss keine Resistenzen entwickeln, gegen die dann wieder neue Antibiotika her müssen etc.

Dass es diese Strategie auch bei Tieren gibt, bemerkte 2007 Lars Råberg (Lund) an Mäusen, die er mit Plasmodium infizierte, dem Malariaerreger. Dabei zeigte sich, dass die Zahl der Parasiten im Wirtsleib nicht mit der Schwere des Leidens korreliert, manche Mäuse kamen auch mit vielen Erregern zurecht, weil sie sich auf die Behebung des zentralen Schadens konzentrierten: Plasmodium zerstört rote Blutzellen, das freigesetzte Hämoglobin greift Körpergewebe an, ihre Stärkung durch Antioxidantien hilft dem ab.

In den vergangenen Wochen hat sich dieses Bild in gleich drei Fällen etwas schärfer konturiert: Wildschafe begegnen verschiedenen Parasiten – Flöhen, Zecken etc. – teilweise mit Toleranz (PLoS Biology e1001917), wilde Mäuse tun es bei Würmern (PLoS Biology e1001901), und auch bei Menschen mit HIV zeigte sich das Phänomen (PLoS Biology e1001951). Das Bild ist noch scheckig – bei Mäusen hängt die Wahl der Strategie am Alter, beim Menschen an der Variante des zentralen HIV-Abwehrgens HLA-B –, und die Reaktion der Gegenseite ist nicht bekannt.

Aber auch die bewegt sich, ganz von allein, sie wird im Zug der Zeit milder, das hatte schon Frascatero bei der Syphilis bemerkt. Nun zeigt es sich bei Aids: Es fiel in Japan auf, aber dort sind die Infektionszahlen zu gering für aussagekräftige Befunde. Deshalb hat Philip Goulder (Oxford) dort nachgesehen, wo das Virus wütet, im südlichen Afrika: In Botswana kam die Epidemie früher als in Südafrika – und in Botswana vermehrt sich das HI-Virus inzwischen weniger rasch, führt später zum Krankheitsbild Aids (Pnas, 1.12.).

Das hängt damit zusammen, dass es so mutiert ist, dass HLA-B ihm nichts mehr anhaben kann. Goulder interpretiert das so: Die Mutation kostet Kraft, HIV kann sich nicht mehr rasch vermehren. Es könnte aber auch so sein: HIV wird nicht mehr attackiert, es muss sich nicht mehr rasch vermehren und kann sich auf das Gemeinsame besinnen: „Auf lange Sicht teilen Mikroben das Interesse am Leben ihrer Wirte“, schloss Lederberg: „Ein toter Wirt ist auch für sie ein totes Ende.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2014)

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