Wolfgang Baumjohann: Kühler Kenner der Kometen

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Der Leiter des Grazer Instituts für Weltraumforschung, Wolfgang Baumjohann, wurde von Fachjournalisten zum Wissenschafter des Jahres gewählt.

„Alle Messgeräte funktionieren und senden Daten.“ Mit diesem Satz zitierte „Die Presse“ Wolfgang Baumjohann nach der geglückten Landung der europäischen Sonde Philae auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko. Natürlich sind dem aus Hamm (Nordrhein-Westfalen) gebürtigen Physiker auch freudigere Worte zu entlocken, doch meistens klingt er eher wie Mister Spock als wie Captain Kirk: Hymnisches Weltraumpathos ist seine Sache nicht; er ist nicht der Typ, der von „Bausteinen des Lebens“ schwärmt, wenn irgendwo im All einfache Aminosäuren gesichtet werden, solche PR-Bemühungen lässt er gern der Nasa. Und auf die kindliche Reporterfrage, welche gefühlsmäßige Beziehung er denn zu dem Kometen habe, antwortete er trocken: „Ich möchte nicht unbedingt mit ihm ins Bett gehen – dafür ist er zu kalt.“

Genau diese Seriosität, dieser Verzicht auf Werbesprache ist es, was die österreichischen Wissenschaftsjournalisten an Baumjohann schätzen. Dazu kommt die Geduld, mit der er ihnen erklärt, was die zum Kometen mitgesandten Geräte, die er entwirft, messen, was man daraus lesen kann (und was nicht). Deshalb haben sie – beziehungsweise hat der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten – ihn nun zum Wissenschafter des Jahres gekürt. Diese Auszeichnung wurde am Mittwoch zum 21. Mal vergeben.

„Das Weltall interessiert jeden“

Er wolle durch Information die Allgemeinheit, die die Weltraumforschung ja finanziert, daran teilhaben lassen, sagte Baumjohann in seiner Dankesrede – und fügte bescheiden hinzu: „Der Weltraum interessiert praktisch jeden, das macht die Vermittlung der Thematik schon ein bisschen leichter.“ Ihn fasziniere die Frage: Wie funktioniert die Welt? „Man versteht immer ein bisschen mehr, aber es bleiben immer Fragen über.“ Und neugieriges Fragen treibe die Grundlagenforschung, die Baumjohann beredt verteidigt: „Wenn Werner Heisenberg nicht 1925 auf Urlaub nach Helgoland gefahren wäre und dort über die Prinzipien der Quantenmechanik gegrübelt hätte, hätten wir die meiste heutige Technologie nicht. Ohne Weltraumsatelliten wären die Wettervorhersagen nicht so zuverlässig, wie sie sind.“ Und er hält fest: „Ohne die Freiheit des Denkens, die in der Aufklärung begründet wurde, ohne die Möglichkeit, Fragen zu stellen, ist eine industrialisierte Gesellschaft unmöglich.“ In dieser verteidigt Baumjohann – wie die meisten Physiker auch – die umstrittenen Technologien Kernkraft und Gentechnik. Die Unfälle in Kernkraftwerken seien nur durch übertriebenes Profitstreben passiert. „Die Frage ist: Wie halten wir das Profitstreben in Grenzen?“

Die Sonne macht Staub zu Plasma

Eigentlich ist Baumjohann Plasmaphysiker, befasst sich also mit dem oft als „vierten Aggregatzustand“ (neben fest, flüssig und gasförmig) bezeichneten Zustand der Materie, in dem die Atome und Moleküle weitgehend ionisiert sind. Dieser Zustand herrscht etwa in der Sonne. Wenn der Komet Tschurjumow-Gerassimenko im Frühling dieser näherkommen wird, wird sein Staub mit dem Plasma des Sonnenwindes in Wechselwirkung treten und auch teilweise ionisiert werden: Das wird man dann als den typischen Kometenschweif sehen. Der Staub des Kometen interessiert Baumjohann auch, weil seine Zusammensetzung ähnlich wie jene der protoplanetaren Scheibe sein dürfte, aus der unser Sonnensystem entstanden ist.

Der Orbiter Rosetta, der ja weiterhin den Kometen begleitet, wird dafür relevante Daten schicken. Dass die im November 2014 gelandete und bald wegen leerer Batterien verstummte Sonde Philae durch die Sonnenenergie wieder „aufwachen“ und auch wieder Daten schicken wird, kann man derzeit nur hoffen, meint Baumjohann.

Gern blickt er auch auf kommende Missionen, bei denen das Grazer Institut für Weltraumforschung, das er seit 2004 leitet, mitwirkt: die Magnetospheric Multiscale Mission der Nasa etwa, die die Magnetosphäre der Erde untersucht. „Dort geht es schon turbulenter als in der Atmosphäre zu.“ Oder auf die (nach dem italienischen Mathematiker Giuseppe Colombo benannte) Sonde Bepi Colombo, die 2016 zum Merkur fliegt, ein Projekt der europäischen Weltraumagentur ESA gemeinsam mit japanischen Institutionen. Den Solar-Orbiter der Nasa, der 2017 um die Sonne kreisen und deren Plasma untersuchen soll. Das Cheops-Weltraumteleskop, das 2017/18 etliche Exoplaneten (siehe Artikel links) genauer anschauen wird.

An all diesen Missionen sind Österreicher beteiligt. Überhaupt ist Österreich in der Weltraumforschung – wenn man auf die Bevölkerungszahl normiert – weltweit in der Spitzengruppe, sagt Baumjohann, der den Wissenschaftsstandort Österreich überhaupt für „sehr gut“ hält. „Die Forschung ist etwas schlechter dotiert als in Deutschland. Aber die Verteilung der Mittel auf kompetitive, transparente Art funktioniert gut.“ Die zuständigen Ressorts – das Wissenschafts- und das Infrastrukturministerium – hätten auch in Zeiten der Krise neue Akzente gesetzt.

Standort Österreich: „Sehr gut“

So hat Baumjohann den Schritt vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching bei München nach Graz, an das Institut für Weltraumforschung der Akademie der Wissenschaften, nie bereut. Dort konnte er, wie er in seiner typischen Bescheidenheit einräumt, an die Popularität und an die Erfolge seines Vorgängers, Willibald Riedler, anschließen. „Weltraumpapst“ nannte man diesen bisweilen. So wird man Wolfgang Baumjohann wohl nie nennen, und das wird ihm vielleicht ganz recht sein.

Bisherige Preisträger

Wissenschafter des Jahres: Georg Wick (Molekularbiologe, 1994), Stefan Karner (Historiker, 1995), Anton Zeilinger (Physiker, 1996), Rudolf Rieder/Heinrich Wänke (Astrophysiker, 1997), Herbert Budka (Molekularbiologe), Christoph Badelt (Sozialforscher, 1999), Hildegunde Piza (Chirurgin, 2000), Ulrich Körtner (evangelischer Theologe, 2001), Renée Schröder (Mikrobiologin, 2002), Josef Penninger (Biochemiker, 2003), Rudolf Taschner (Mathematiker, 2004), Helga Kromp-Kolb (Klimaforscherin, 2005), Konrad Paul Liessmann (Philosoph, 2006), Wendelin Schmidt-Dengler (Germanist, 2007), Fatima Ferreira (Allergieforscherin, 2008), Rudolf Grimm (Physiker, 2009), Kurt Kotrschal (Verhaltensbiologe, 2010), Sabine Ladstätter (Archäologin, 2011), Georg Grabherr (Ökologe, 2012), Verena Winiwarter (Umwelthistorikerin, 2013), Wolfgang Baumjohann (Astrophysiker, 2014).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2015)

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