Wissenschaft, die an die Wäsche geht

Bettwäsche
Bettwäsche(c) Clemens Fabry - Die Presse
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Materialforschung. Wissenschaftler suchen nach der perfekten Bettwäsche für ältere Menschen und entwickeln neue Fasern für den Spitzensport. Farben könnten künftig stärker aus Bioabfällen wie Rinde oder Zwiebelschalen kommen.

Sie wärmen, wenn es kalt ist und kühlen bei Hitze. Sie saugen Feuchtigkeit auf oder stoßen sie ab. Textilien müssen sehr unterschiedlichen Anforderungen genügen. Was sollen sie künftig können? Und: Was interessiert die Wissenschaft, wenn es um die Wäsche geht?

„Es kommt darauf an, was man damit macht“, sagt Thomas Bechtold vom Institut für Textilchemie und Textilphysik, einer Art Außenstelle der Uni Innsbruck im Vorarlberger Dornbirn. Die Textilindustrie hat im Westen Österreichs eine lange Tradition, auch wissenschaftlich war man früh aktiv. International wurde hingegen in den letzten 30 Jahren eher wenig geforscht. „Man ging wohl davon aus, dass es hier wenig zu entdecken gibt. Der Bereich wurde eher als etwas Statisches gesehen“, so Bechtold.

Weit gefehlt: „Die Gesellschaft verändert sich ständig und damit auch die Erwartungen an Textilien“, sagt Bechtold, der den Forschungsbereich mit aufgebaut hat. Die Nutzer stellen immer höhere Anforderungen an Sporttextilien. Alternde Menschen haben andere Bedürfnisse als Junge, wenn es um Wäsche und Bekleidung geht. Nicht nur die Mode, auch die Materialien sollen dabei auf dem letzten Stand sein.

Und so steht am Beginn jedes Forschungsprojekts des Textilexperten einmal eine eingehende Recherche, was überhaupt gebraucht wird. Für das groß angelegte EU-Projekt „Textiles for Aging Society“ befragten die Wissenschaftler etwa Personen in Altersheimen und Krankenkhäusern. „Immer mehr Menschen werden immer älter. Hier ist vieles nicht erforscht“, so Bechtold. Welche Bettwäsche, welche Bekleidung ist für sie angenehm? Wie glatt oder rau sollen die Textilien sein? Und: Welche Anforderungen gibt es hinsichtlich der Hygiene?

Ein Pflegeheim soll keinen Krankenhaus-Charakter haben, war eine klare Erkenntnis: Die Menschen verbringen meist viel Zeit im Zimmer und wollen sich dort wohlfühlen. Ein wohnlicher Charakter des Umfelds ist gefragt, daher werden nun neue Muster für die Bettwäsche in Pflegeheimen entwickelt. Denn: „Bettwäsche in Pflegeheimen sieht seit 1950 gleich aus“, so der Forscher. Die Schlafqualität zu verbessern ist zentrales Ziel: „Bettwäsche soll wärmen, aber nicht zum Schwitzen bringen. Gegen kalte Füße müsste man eigentlich die Fußenden stärken“, sagt Bechtold, der an der perfekten Bettwäsche tüftelt.

Sensor meldet Nässe

In Pflegeheimen könnten Sensoren in der Bettwäsche integriert werden, die Nässe melden. Diese sollte man aber wiederum nicht sehen. So viel Technologie wie notwendig, aber nicht mehr als nötig, lautet die Devise – wieder, um keine Krankenhausatmosphäre aufkommen zu lassen. Auch Verschmutzung und Reinigung spielen eine Rolle. „Ältere Menschen wollen möglichst lange zu Hause bleiben. Das wollen wir durch einfach zu pflegende Materialien erleichtern“, so Bechtold.

Getestet werden die Stoffe im Textillabor der Uni. In einer Klimakammer wird simuliert, wie eine Oberfläche Schweiß aufnimmt und auch wieder abgibt. Mit der Prüftechnik lässt sich auch untersuchen, ob Materialien Bakterienwachstum fördern oder hemmen.

Ganz andere Tests führen Sportwissenschaftler durch, mit denen Bechtold eng zusammenarbeitet: Sie wollen wissen, wie das Material auf den Körper wirkt oder ob die Bekleidung ausreichend Bewegungsfreiheit bietet. „Unterschiedliche Sportarten haben unterschiedliche Anforderungen“, sagt Michael Hasler vom Technologiezentrum Ski- und Alpinsport am Innsbrucker Sport-Campus.

Hier untersucht man Rennanzüge für Langläufer genauso wie Fahrradbekleidung für den Sommer. Sportarten, die im alpinen Bereich beheimatet sind, haben einen besonderen Stellenwert. Dazu lässt man Probanden am Laufband oder Ergometer schwitzen. Die Forscher messen dann Körperfunktionen wie Puls oder Herzfrequenz. Thermografische Aufnahmen sollen die Temperatur in den verschiedenen Körperregionen sichtbar machen.

Dazu wurde fünf Jahre lang in einem von Wissenschafts- und Technologieministerium geförderten K-Projekt geforscht. Die Arbeiten werden nun im „Competence Centre Sports Textiles“ gemeinsam mit mehreren Industriebetrieben fortgesetzt.

Bandagen besser testen

Auch Bandagen und Orthesen werden getestet, Verletzungsprävention ist ein eigener Schwerpunkt der Untersuchungen. „Wir wissen, dass sich Orthesen auf die Selbstwahrnehmung auswirken“, sagt Hasler. Die Vermutungen über Zusammenhänge will man nun auf eine solide wissenschaftliche Basis stellen und testet dazu Kniebandagen aus Textil-Materialien.

Denn insbesondere das Knie gilt als bei vielen Sportarten gefährdete Schwachstelle. Der Mensch spürt kalte oder warme Temperatur hier weniger deutlich; die Bänder in einem kalten Knie sind aber empfindlicher, spezielle Bandagen könnten hier schützen. Und diese sollen wärmen, aber wiederum nicht zum Schwitzen bringen.

Bei der Ausrüstung erlebt derzeit die Wolle eine regelrechte Renaissance. Sie bewährt sich laut Materialuntersuchungen vor allem im Ausdauersport: also etwa bei längeren Märschen oder mehrtägigen Wanderungen, bei denen das Gewand nicht ständig gewechselt werden kann. „Wolle nimmt Feuchtigkeit auf, erzeugt aber kaum unangenehmen Gerüche“, sagt Chemiker Bechtold. Für schweißtreibenden Leistungssport sei das schwere Material allerdings schlecht geeignet. Hier gilt eine neue Faser als Zukunftshoffnung: Sie wurde aus Zellulose entwickelt und zeigt damit Eigenschaften einer Naturfaser. An der Oberfläche ist ihre Struktur allerdings verschlossen, so weist sie Wasser ab. „Sie verbindet damit Vorteile von Synthetik und Naturfaser“, so Bechtold.

Farben aus der Natur nutzen

Ob Spitzensport oder Pflegeheim: Für die Mode ist die Farbe wichtig. Seit zehn Jahren befasst sich Bechtold daher auch mit Farbstoffen. Dabei nutzt er vor allem Farben aus der Natur, die sich weltweit stark unterscheiden: „Die Vegetation in einem tropischen Land ist völlig anders als bei uns“, sagt er. In Österreich bieten sich etwa Rinden besonders an: Die Abfallstoffe aus Sägewerken erzeugen Beige- bis Anthrazit-Töne. Außerdem essen die Österreicher pro Jahr 100.000 Tonnen Zwiebeln. Aus den Schalen, die beim Abpacken anfallen, lassen sich gelb-orange bis olivgrüne Farbnuancen gewinnen. Fokussiert wird auf Abfallstoffe, die keine Konkurrenz zu Nahrungsmitteln bilden.

Denn die Umwelt ist Chemiker Bechtold wichtig. Welche Vision hat er dazu für die Winterbekleidung? Es würde der Natur gut tun, wenn wir bei der Bekleidung auf schlecht abbaubare Stoffe verzichten, sagt er: „Brauche ich wirklich eine Himalaya-taugliche Bergjacke für einen Stadtspaziergang?“ Eine extreme Ausrüstung sei für extreme Anwendungen da, so Bechtold.

LEXIKON

Textilchemie befasst sich mit der Chemie und Produktion von Textilfasern sowie deren Veredelung. Auch die Entwicklung von Farbstoffen ist ein Schwerpunkt der Forschung.

Textilphysik beschäftigt sich mit physikalischen Eigenschaften textiler Fasern und Produkte: etwa mit Festigkeit, Reibung, Wärmeisolation, Farbe, Glanz oder Stromleitung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2015)

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