„Auf Fachbegriffsmonster verzichten“

Wissenschaftskommunikation. Physiker Bernhard Weingartner bringt Forschung auf die Bühne. Der Science-Slam-Initiator im Gespräch darüber, warum es sich lohnt, Wissenschaft als Geschichte zu erzählen.

Formate zur Vermittlung von Wissenschaft haben Hochkonjunktur, es scheint sie fast schon inflationär zu geben. Der Science Slam, bei dem Wissenschaftler ihre Arbeit in nur wenigen Minuten unterhaltsam präsentieren, füllt nach wie vor die Hallen. Was ist das Erfolgsrezept?

Ich finde es positiv, dass es viele Formate gibt und glaube nicht, dass das schon inflationär ist und man sich gegenseitig das Publikum wegnimmt. Mein Eindruck ist eher: Das Interesse der Menschen ist da und damit die Notwendigkeit gegeben. Wenn man es schafft, Wissenschaft so zu vermitteln, dass sie wirklich verstanden und auch die emotionale Ebene angesprochen wird, dann kommen die Leute und schätzen das auch.

Der Science Slam expandiert von Wien aus in die Bundesländer. Nach Tirol und der Steiermark gab es in der Vorwoche die erste Veranstaltung in Oberösterreich. Was ist der Unterschied zu anderen Formaten?

Wir binden das Publikum aktiv ein und nehmen es auch ernst. Es gibt keine Expertenjury als Barriere zur Bühne. Bei uns ist das Publikum die Jury und diskutiert mit.

Sie waren selbst Physiker an der TU Wien. Wie haben Sie mit der Wissenschaftskommunikation begonnen?

Die erste Aktivität war „University meets Public“ an der Wiener Volkshochschule, in sehr kleinem Rahmen. Dort wissenschaftliche Vorträge zu halten, war das ideale Experimentier- und Lernfeld. Dann habe ich beim FameLab mitgemacht, gewonnen, und war beim Finale in Großbritannien.

Sie haben die Idee von dort mit nach Österreich genommen?

Dort habe ich verschiedene Formate kennengelernt, unter anderem auch wissenschaftliche Straßenkunst, und habe dann in Österreich auch das Physikmobil gestartet. Ich wollte neue, unkonventionelle Formate ausprobieren und Wissenschaft dorthin bringen, wo sie keiner vermutet: in die Fußgängerzone und ins Freibad. Auch der Science Slam findet an keiner Uni statt, sondern in Kabarett- oder Musiklokalen. Dort gibt es sonst keine Wissenschaft. Wir machen das ganz bewusst, um Hörsaal-Atmosphäre zu vermeiden.

Sie sagen, Wissenschaft soll emotional vermittelt werden. Welche Tipps bekommen Teilnehmer am Science Slam, wie sie ihr Thema gut vermitteln können?

Wer es schafft, Wissenschaft als Geschichte zu erzählen, hat eigentlich schon gewonnen. Egal, ob das ein 40-sekündiges TV-Interview, ein Slam- oder Konferenzbeitrag oder eine Vorlesung ist. Welcher Rahmen auch immer: Wenn es gelingt, einen Spannungsbogen aufzubauen, dann hören die Leute zu, und es bleibt auch etwas hängen.

Das wirft freilich die Frage auf: Wie erzählt man eine Forschungsgeschichte wirklich gut?

Das hängt stark an der Sprache. Schriftlich ausformulieren und dann wortwörtlich eine Vorlesung veranstalten geht gar nicht. Das hört man sofort, das ist keine natürliche Sprache. Auch die Sätze sind zu kompliziert. Man muss sich trauen, komplexe Themen in einfacher Sprache zu erzählen. In der Wortwahl sollte man auf Zahlen- und Fachbegriffsmonster möglichst verzichten. Wenn man doch Zahlen nennt, muss man sie in Relation zu etwas setzen oder bildlich vermitteln.

Was war die witzigste Szene bei der Vermittlung von Forschung?

Es muss gar nicht witzig sein. Auch potenzielle Slammer sind oft besorgt, dass sie keine Komödianten sind. Ein Science Slam ist kein Kabarettbeitrag. Im Gegenteil: Wichtig ist, in den sechs Minuten verständlich und kurzweilig zu sein. Dass man nicht nur vermittelt, womit man sich beschäftigt, sondern auch, warum es einen selbst fasziniert. Es muss nicht gezwungen lustig sein, aber es darf natürlich unterhaltsam sein.

Wie weit darf die Show gehen, und wo beginnt die Prostitution auf der Bühne?

Es dürfen keine Märchen erzählt werden. Das ist die Gratwanderung.

Die Inhalte müssen stimmen...

Es darf und muss vereinfacht werden, aber sobald man Märchen erzählt, untergräbt man die eigene Glaubwürdigkeit.

Was sollte man sonst noch vermeiden, wenn man Wissenschaft vermitteln möchte? Worauf soll man aufpassen?

Authentisch bleiben, und das hat viele Facetten, gerade im Gespräch mit Medien, die stark vereinfachen. Bei TV-Interviews ist die Schwierigkeit, die Schneidehoheit zu behalten. Es lohnt sich, vorher Formulierungen zu überlegen, die nicht mehr geschnitten werden können. Außerdem Übersetzungen und Erklärungen anbieten. Knackige Formulierungen überlegen, die dem Medium entsprechen und auch so übernommen werden können. Und sich in die Rolle des Lesers oder Zusehers versetzen. Wissenschaftskommunikation braucht Zeit. Nach wie vor gibt es Leute, die das für Zeitverschwendung halten.

Was hat sich hier in den letzten Jahren in der Wissenschaftskommunikation verändert?

Das ist nur graduell besser geworden, da gibt es noch Aufholbedarf. Der Nutzen ist aber nicht nur beim Publikum. Auch für die Wissenschaftler ist ein Auftritt ein Gewinn für die eigene Arbeit. Dadurch, dass man allgemein verständlich formulieren muss, lernt man selbst dabei. Kommt vielleicht sogar auf Aspekte, die noch forschungswürdig sind. Vor allem aber bringt erfolgreiche Wissenschaftskommunikation eine sehr hohe Selbstmotivation. Egal, ob auf der Bühne oder in der Zeitung: Wenn die eigene Forschung öffentlich wahrgenommen wird, motiviert das. Ich glaube, dass dadurch auch die Produktivität steigt und die Zeit daher gut investiert ist.

Also sehr persönliche Aspekte?

Ja, denn in der Wissenschaft macht kaum jemand Dienst nach Vorschrift. Die Leute investieren unglaublich viel Zeit und Energie in ihre Forschung. Von ihrem sozialen Umfeld bekommen sie dafür aber oft nur wenig Verständnis. Mitunter, weil das Thema nicht verstanden wird. Funktioniert Wissenschaftskommunikation, dann versteht auch das eigene Umfeld das Engagement besser. Und das freut und motiviert.

Sind Sie selbst für Ihre Aktivitäten auch belächelt worden?

Ich selbst nicht, Slammer sorgen sich aber immer wieder, unter Fachkollegen schräg angeschaut zu werden. Oft sind aber genau diese sehr beeindruckt, wenn sie sich die Veranstaltung ansehen. Ein Tipp ist also, den Professor oder Kollegen vielleicht einfach zur Veranstaltung einzuladen.

Bringen die meist jungen Slammer auch frischen Wind in die Wissenschaftskommunikation?

Durchaus, aber es sind jedes Mal auch arrivierte Forscher dabei. Die Mischung ist schön. Und auf der Slam-Bühne gibt es keine Hierarchieunterschiede.

AUF EINEN BLICK

Bernhard Weingartner wurde 1975 in Innsbruck geboren. Er studierte Physik an der TU Wien, wo er auch wissenschaftlich tätig war. Nach dem Sieg beim Fame Lab 2008 rief er in Österreich den Science Slam ins Leben und tourt seither auch mit dem Physikmobil durch das Land. In der Freizeit baut der Vater von vier Kindern Experimente aus Alltagsschrott.

Bei Science Slams präsentieren Forscher ihre Arbeit in nur sechs Minuten. Requisiten sind erlaubt, technische Hilfsmittel nicht. Der nächste Science Slam findet am 16.April in Salzburg statt, Ende Mai folgt die Österreich-Ausscheidung. Der Europameister wird im Herbst in Wien gewählt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2015)

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