Den Fröschen auf die Füße schauen

DER LAUBFROSCH  IST ´FROSCH DES JAHRES´
DER LAUBFROSCH IST ´FROSCH DES JAHRES´(c) APA (KURT KRACHER)
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Insekten und Lurche bewegen sich scheinbar mühelos auf ganz unterschiedlichem Untergrund. Linzer Forscher haben nun erstmals die Membranen auf den Füßen künstlich nachgebaut. Das könnte künftig auch die Industrie nutzen.

Emma klettert gern auf Bäume. Sie ist nicht groß, steht mit ihren etwa zehn Zentimetern Körperlänge aber dennoch oft im Mittelpunkt. Emma ist ein australischer Korallenfinger-Laubfrosch und lebt im Terrarium des Instituts für Medizin- und Biomechatronik der Uni Linz.

Dort interessieren sich die Forscher vor allem für die Füße der Litoria caerulea, kurz Korallenfinger genannt. Denn damit kann der Froschlurch buchstäblich die Wände hinaufgehen. Dem Linzer Wissenschaftlerteam ist es erstmals gelungen, die ausgeklügelten Haftmechanismen aus der Natur im Labor nachzubauen. Ihre Entwicklung haben sie bereits zum Patent eingereicht.

„Viele Menschen glauben, dass Frösche Saugnäpfe an den Zehen haben“, sagt Institutsleiter Werner Baumgartner. Ein Irrtum. Denn die tierischen Haftorgane funktionieren weit komplexer: „Die Füße bilden auf dem Untergrund eine große Fläche und halten sich durch Adhäsion, also den mechanischen Zusammenhalt zwischen zwei Schichten“, so Baumgartner.

Die Tiere können aber auch von einer Sekunde auf die andere wieder loslassen – ein Ein- und Ausschaltmechanismus, der auch für die Industrie interessant sein könnte. Erforscht wurde er aber noch nie genau. Wollen sich die Tiere vom Untergrund lösen, schieben sie ein Bein weg und rollen es über das Gelenk ab. „Das funktioniert ähnlich wie bei einem Tesa-Band, das man vom Rand her ablöst“, sagt der Mechatroniker.

Wie montiert man aber ein Messgerät an den Füßen eines Froschs? Gar nicht, man wollte dem Frosch auch nicht schaden. Um festzustellen, wie das Tier am Untergrund haftet und auch wieder loslässt, erfanden die Forscher eine neue Methode: Sie ließen Emma über eine Latex-Membran gehen. Diese dehnt sich unter dem tierischen Fußabdruck. Die Steifheit der unbelasteten Membran ließ rechnerische Rückschlüsse auf den Fuß und seine Eigenschaften zu.

Ähnliche Experimente gab es mit Stabheuschrecken, denn auch sie bewegen sich souverän auf unterschiedlichem Untergrund. Und sie sind Versuchstiere, die sich leicht in größerer Zahl fangen lassen. Frosch besitzt das Institut hingegen nur einen.

Weich wie Kaugummi

Das nun nach dem Vorbild der Natur entwickelte Material, das die Tierfüße nachbildet, ist in mehreren Schichten aufgebaut. Die unterste Schicht ist weich, um sich gut in Unebenheiten des Untergrunds drücken zu können. Das ist wichtig, damit die Adhäsionskräfte wirken. Baumgartner vergleicht die Schicht mit einem Kaugummi, den man auf eine Oberfläche drückt. In der zweiten Schicht befinden sich feine, verzweigte Härchen aus Silikonen in unterschiedlichen Härtegraden. Sie bilden einen elastischen Steg, der die Membran hält. Darüber liegt dann noch eine dünne, aber feste Kunststoffschicht. Erste, allerdings nur wenige Quadratzentimeter große Prototypen gibt es bereits.

Mit den neuen Erkenntnissen ist die Grundlage dafür geschaffen, das Prinzip auch in der Industrie zu nutzen: Wenn etwa Montageroboter Gegenstände festhalten oder wieder loslassen sollen, könnte es zum Einsatz kommen. Oder auch zum Kleben im Haushalt: für Poster an der Wand des Kinderzimmers, die sich ohne Rückstände wieder entfernen lassen. Dazu braucht es aber noch Entwicklungsarbeit, denn das Material muss zunächst günstiger und in großen Mengen herstellbar sein.

Aus dem Efeuzaun direkt vor der Linzer Uni kommen andere Versuchstiere: Der Weinzwirner ist eine kleine Zikadenart, die auch in Österreich heimisch ist. Die tierischen Probanden stehen freilich nur in der warmen Jahreszeit zur Verfügung. Dann sind sie aber besonders interessant für die Forscher, da sie unzählige winzige Sinnesorgane am Körper tragen. Diese seien ähnlich wie Satellitenschüsseln auf dem Tier verteilt, so Baumgartner. Die Wissenschaftler wollen wissen, wozu sie dienen. „Vielleicht sind sie auch für nichts. Aber wir wollen es einfach wissen“, sagt der Forscher. Grundlagenforschung auf dem Rücken der Zikade also.

Prothesen entwickeln

Wofür sich etwas anwenden lässt, zeige sich oft erst sehr viel später. Für die Arbeit an der Zikade wurde jedenfalls im Vorjahr ein von Wissenschafts- und Technologieministerium finanziertes K-Projekt gestartet. Das Ziel: prüfen, ob sich Wissen über die Sinnesorgane der Zikade für die Entwicklung von intelligenten Handprothesen nutzen lässt, die mit einer Vielzahl von Sensoren ausgestattet sind.

Nicht nur Tiere, auch die Evolution dient den Forschern als Vorbild bei der Arbeit. In Simulationen stellen sie Gene als Vektoren dar. Wie mit der DNA der Lebewesen werden Bauteile beschrieben, konkret für Stahltragwerke. „Ein Stahlträger muss eine bestimmte Belastung aushalten. Diese lässt sich in Algorithmen ausdrücken, die aus der Natur kommen“, sagt der Forscher. Dabei greift man auf frühe evolutionstheoretische Ansätze zurück: Selektionsdruck und Mutation werden berücksichtigt, um festzustellen, wann ein Stahlträger fit ist, also die an ihn gestellten Anforderungen aushält. Darwin im Mechatroniklabor, sozusagen. Die Berechnungen der Ingenieure sollen zugleich vermeiden, dass Bauteile überdimensioniert und damit nicht effizient sind. Möglicher Anwendungsbereich ist der gesamte Hochbau.

Moleküle modellieren

Auch Moleküle, die im menschlichen Körper Zellen zusammenhalten, lassen sich modellieren. Der Mensch besteht aus rund 100 Billionen Zellen, die aneinander haften – oder nicht. Denn Zellen müssen auch loslassen können: „Wunden müssen heilen, Stoffe werden zwischen Zellen ausgetauscht und die Synapsen, also die Verbindungen zwischen Nervenzellen, wachsen und schrumpfen beim Lernen“, so Baumgartner.

Was interessiert die Wissenschaftler noch? „Hat eine Pflanze schräge Eigenschaften? Warum rutschen Ameisen auf den Kannen fleischfressender Pfanzen aus?“ Die Forscher fasziniert vieles, zunächst aber ohne Blick auf mögliche Produkte. Das ist stets der nächste Schritt.

Die Untersuchungen am Frosch sind mittlerweile übrigens abgeschlossen. Emma bleibt dennoch am Institut: Sie ist den Linzer Mechatronikern ans Herz gewachsen.
[ picturedesk ]

LEXIKON

Bionik oder Biomimetik überträgt Phänomene aus der Natur auf die Technik. Schon Leonardo da Vinci wollte den Vogelflug auf Flugmaschinen anwenden. Die Klettpflanze wurde als Vorbild für den Klettverschluss bekannt. „Den“ Bioniker gibt es nicht. Wissenschaftler, die sich mit Bionik befassen, kommen entsprechend der Bandbreite möglicher Themen aus vielen verschiedenen Disziplinen.

Biomechatronik nutzt biologisches und medizinisches Wissen für mechatronische Probleme. Als Mechatronik bezeichnet man das Zusammenwirken mechanischer, elektronischer und informationstechnischer Elemente zur Lösung technischer Aufgaben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2015)

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