Entsteht Depression direkt im Mutterleib?

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Medizin. Wiener Forscher untersuchen, ob die Neigung zu Depressionen bereits in die Wiege gelegt ist. Zugleich zeigt sich, dass die Krankheit das Leben von Intensivpatienten verkürzen kann. Das betrifft auch viele Junge.

Für mehr als 350 Millionen Menschen rund um den Globus gehören Angst und Beklemmung zum Alltag. Und das ist nur eine Schätzung, denn die Dunkelziffer liegt weit höher. Laut Prognose der Weltgesundheitsorganisation WHO könnten Depressionen nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis zum Jahr 2010 überhaupt Rang zwei der häufigsten Krankheiten einnehmen.

Eine Depression hat viele Ursachen: Genetische Faktoren und Umweltfaktoren wie etwa chronischer Stress spielen zusammen. Auch das Krankheitsbild ist sehr unterschiedlich: Die Symptome reichen von Gemütsschwankungen, Freudlosigkeit, Schlaf- oder Appetitstörungen bis zu Gedanken an Selbstmord. „Nicht jeder Patient ist gleich. Wie sich die Krankheit zeigt, unterscheidet sich mitunter stark“, sagt Daniela Pollak-Monje Quiroga vom Department für Neurophysiologie und Neuropharmakologie der Med-Uni Wien.

„Nicht jeder, der Stress hat, entwickelt auch eine Depression. Ist die Hirnfunktion aber verändert, reagiert man anders auf Umweltfaktoren“, sagt die Forscherin, die eigentlich an der Vet-Med-Uni promoviert hat. Zur Depressionsforschung kam sie als Postdoc-Studentin bei Eric Kandel: In der Forschergruppe des Nobelpreisträgers mit österreichischen Wurzeln gelang ihr am Mausmodell der Nachweis, dass Verhaltenstherapie wirkt.

Risiko beginnt vor der Geburt

Nun folgt sie Hinweisen, dass vor allem frühe Ereignisse im Leben die Hirnfunktionen entscheidend programmieren. Das sind nicht ausschließlich traumatische Erlebnisse in der Kindheit, etwa wenn ein Säugling vernachlässigt wird. Die Wurzeln für eine Erkrankung könnten noch viel tiefer liegen. Pollak-Monje Quiroga untersucht in einem eben gestarteten Projekt des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF drei Jahre lang, ob sich die Neigung zur Depression schon im Mutterleib ausprägt: nämlich wenn die werdenden Mütter in der Schwangerschaft an einer Infektion erkranken.

Für Schizophrenie und Autismus hat man das bereits in frühen epidemiologischen Studien nachgewiesen. Ob Grippe, Polio oder Masern: Es ließ sich statistisch tatsächlich zeigen, dass die nach Epidemien geborenen Kinder später deutlich öfter an psychischen Krankheiten litten. Für Depressionen wird das nun das erste Mal umfassend untersucht.

Laboruntersuchungen fehlten bislang überhaupt gänzlich. Da sie an Schwangeren ethisch nicht vertretbar wären, arbeiten die Wissenschaftler mit Mäusen. Wie aber untersucht man bei Mäusen, ob sie depressiv sind? Ähnlich wie die meisten Menschen mögen sie Süßes. Bietet man ihnen Zuckerwasser und normales Wasser an, ist die Wahl klar. Verlieren die Mäuse allerdings die Fähigkeit, Freude zu empfinden, ist ihnen egal, aus welcher Flasche sie trinken.

Fehlfunktionen früh erkennen

Dazu werden ihnen allerdings auch keine echten Viren injiziert, sondern Stoffe, die Immunantworten auslösen, die mit jenen bei Infektionen vergleichbar sind. Für Diagnose und Therapie beim Menschen könnten die Erkenntnisse wichtige Fortschritte bringen. „Mit mehr Wissen, was sich im Gehirn bei einer Depression verändert, könnte man Fehlfunktionen früher erkennen und gezielter behandeln“, sagt die Forscherin. So ließe sich in ferner Zukunft vielleicht sogar verhindern, dass die Krankheit ausbricht.

Das kann mitunter auch über Leben und Tod entscheiden, wie nun eine andere Wiener Forschergruppe herausfand. Die Ärztin Marlene Wewalka vom AKH Wien zeigte, dass Depressionen Intensivmedizinpatienten zusätzlich schwächen: „Etwa ein Viertel der Patienten auf einer Intensivstation stirbt. Die Sterblichkeit hängt grundsätzlich vom Alter, der Schwere der akuten Erkrankung und zusätzlichen Grunderkrankungen ab“, sagt sie. Der Effekt von Depressionen war bislang nicht untersucht worden, Wewalkas Arbeit ist die erste in diesem Bereich. Getestet wurden 200 Intensivpatienten, mehr als ein Drittel litt schon vorher an Depressionen. Bei der Beurteilung wurden auch Angehörige befragt, da die Patienten oft nicht ansprechbar waren. Dazu wurde ein Fragebogen eigens getestet.

Das Ergebnis: Depressive Patienten, die länger, also bis zu 28 Tage, auf der Station waren, hatten eine geringere Wahrscheinlichkeit zu überleben. Darunter waren aber auch viele Patienten mit an sich „guten Karten“, so Wewalka: „Uns überraschte vor allem, dass Depressionen in den jüngeren Gruppen mit Personen unter 47 Jahren und ohne Grunderkrankungen großen Einfluss auf die Sterblichkeit haben.“

Eine Erkenntnis, die einmal mehr zeigt, wie wichtig es ist, die Krankheit möglichst früh in den Griff zu bekommen.

LEXIKON

Depression bezeichnet eine psychische Störung. Gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit und Müdigkeit sind Hauptsymptome. Dazu kommen schlechte Konzentration und ein vermindertes Selbstwertgefühl, Unruhe oder Schlafstörungen. Eine Depression muss behandelt werden, die Symptome lassen sich nicht durch Willenskraft steuern.

Burn-out bezeichnet starke emotionale Erschöpfung mit reduzierter Leistungsfähigkeit. Betroffene fühlen sich „ausgebrannt“. Meist steht der Beruf im Vordergrund, wo auf große Begeisterung Frustration, Desillusionierung oder Apathie folgt. Burn-out kann zur Depression führen, ist wissenschaftlich aber nicht als Krankheit anerkannt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2015)

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