Gefahrenstellen finden, bevor etwas passiert

Autounfall
Autounfall(c) Erwin Wodicka
  • Drucken

An der TU Graz fließen in der Zentralen Datenbank zur Tiefenanalyse von Verkehrsunfällen Informationen zu tödlichen Unfällen zusammen. Das sei auch wichtig, um Fußgänger besser schützen, sagt der Leiter des Instituts für Fahrzeugsicherheit, Hermann Steffan.

Die Presse: Sie sammeln an Ihrem Universitätsinstitut Daten zu Unfällen. Gibt es noch nicht genug Unfallstatistiken?

Hermann Steffan: Es gibt zwar sehr viele statistische Datenbanken, aber kaum solche, in denen ein Unfall wirklich genau beschrieben ist. Diese Informationen brauchen wir aber, um abzuschätzen, ob und wann ein Unfall passiert und wie sich Verkehrsunfälle vielleicht verhindern lassen. Wir nutzen sie für fast alle Forschungsprojekte.

Existieren solche Datenbanken noch nicht?

Doch, aber die Rechte liegen großteils bei Fahrzeugherstellern. Damit hat man auch keinen ganz beliebigen Zugang. Wir verfügen als einzige Forscher in Europa über eine wissenschaftlich wirklich unabhängige Datenbank.

Woher kommen die Daten?

Staatsanwaltschaften und Richter schicken sie. Wir bekommen den kompletten Akt, das heißt Polizeianzeige, Gutachten, medizinischen Befunde und Obduktionsberichte, in Papierform und digitalisieren ihn. Über 2000 Unfälle sind bereits voll erfasst. Obwohl wir nicht alle Daten bekommen, sind sie dennoch statistisch repräsentativ für Österreich.

Ist die Datenbank auch für Dritte zugänglich?

Forscher und Fahrzeughersteller können sie nutzen. Sie ist nicht kostenfrei, aber frei zugänglich.

Wo hat die Datenbank bereits konkrete wissenschaftliche Erfolge gebracht?

Wir haben etwa Motorradstrecken untersucht und gefragt, wo besondere Gefahrenstellen sind und wo die schweren Unfälle passieren.

Was passiert mit den Erkenntnissen?

Es gibt zum Beispiel heute neue Leitschienen, die für Motorradfahrer weniger gefährlich sind. Auch schlecht einsehbare Kurven lassen sich verbessern. Teilweise werden Verkehrszeichen neu aufgestellt, teilweise gibt es bauliche Maßnahmen: eine neue Asphaltdecke etwa, weil auffällt, dass die alte sehr rutschig ist. Wir arbeiten dazu eng mit Straßenerhaltern und -betreibern zusammen, die Aufträge kommen vom Technologieministerium.

Helfen die Ergebnisse auch, um Fußgänger zu schützen?

Derzeit ist die Datenbank voll im Einsatz für die Potenzialanalyse für aktive Sicherheitssysteme. Das heißt, wir prüfen, was zum Beispiel eine Fußgängererkennung bringt. Wie muss ich das System auslegen, damit es möglichst gut funktioniert? Neue Assistenzsyteme sollen den Fahrer nicht nur warnen, sondern auch gleich selbst reagieren.

Welche Rolle spielt ihre Forschung dabei?

Wir sind bei der Evaluierung der Systeme dabei. Es geht darum zu sehen, wie sie sich in realen Unfallszenarien bewähren. Was hätte sich am Unfallszenario geändert, wenn ein bestimmter elektronischer Assistent eingebaut gewesen wäre? Wir wollen auch ein EU-Projekt einreichen, um ein Modell für die Verkehrsteilnehmer zu entwickeln. Abhängig vom Alter und von Faktoren wie Aufmerksamkeit oder Müdigkeit sollen sich Reaktionsschnelle und -verhalten berechnen lassen.

Wie können sich alte Menschen sonst noch schützen?

Viele Unfälle passieren in der Nacht. Reflektoren in Mänteln oder auf Schuhen bringen sehr viel. Auch Nähte aus reflektierenden Fäden in der Kleidung helfen. Gerade Ältere sind oft dunkel gekleidet, das macht es noch schlimmer. Da könnten sie selbst oder ihre Angehörigen ansetzen. (gral)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.