Fleischfressende Pflanzen leben auch vegetarisch

POLAND ZOO EXHIBITION CARNIVOROUS PLANTS
POLAND ZOO EXHIBITION CARNIVOROUS PLANTS(c) EPA (Andrzej Grygiel)
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Botanik. Fleischfressende Pflanzen entwickeln sich am besten, wenn sie sich ausgewogen, also von pflanzlicher und tierischer Nahrung, ernähren. Das wies eine Wiener Forschergruppe an Wasserschlauchpflanzen nach.

Fleischfressende Pflanzen oder Carnivoren genannt ernähren sich – wie der Name schon vermuten lässt – von fleischlicher Kost, von lebenden Tieren, insbesondere Insekten, die den Pflanzen in die Falle gehen. Weltweit sind ungefähr 600 Pflanzenarten bekannt, die mit speziell ausgebildeten Fallentypen ihre tierische Beute fangen und dann mit Verdauungssäften zersetzen. Umso erstaunlicher ist es, dass seit über 100Jahren in den Fallen des Wasserschlauches, der Urtricularia, auch immer wieder Algen, also Pflanzen, gefunden wurden.

Botanikern der Uni Wien gelang es nun erstmals, den Anteil der Pflanzen am gesamten Beutespektrum des Wasserschlauches, der in vielen heimischen Seen und Tümpeln vorkommt, auszumachen. Dazu untersuchten Marianne Koller-Peroutka und Wolfram Adlassnig in einem vom Hochschuljubiläumsfonds der Stadt Wien finanzierten Forschungsprojekt 2000 Wasserschlauchfallen. Die Analyse des Falleninhalts brachte Erstaunliches zutage. „Über den Anteil und die Anzahl an pflanzlicher Nahrung in der Beute waren wir selbst sehr überrascht“, so Koller-Peroutka über die Forschungsergebnisse, die kürzlich in den „Annals of Botany“ veröffentlicht wurden.

„Wir haben zwar mit mehr als 20 Prozent gerechnet; dass Pflanzen wie Algen aber rund die Hälfte der Beute des Wasserschlauches ausmachen, war selbst für uns sehr ungewöhnlich.“ Tatsächlich gewinnen die untersuchten Wasserschläuche 50 Prozent ihrer Nahrung aus Algen, mehr als ein Drittel besteht aus Pollen von Bäumen, die am Ufer wachsen und deren Pollenkörner ins Wasser geweht werden. Nur knapp zehn Prozent der verdauten Nahrung sind kleine Wassertiere.

Klein genug für die Fallentür

Gefangen wird alles, was klein genug ist, um durch die pflanzliche Fallentür zu passen. „Daher vermuteten wir zunächst, dass die Algen einfach nur zufällig beim Fangen der Tiere in die Fallen gerutscht sind, weil der Wasserschlauch nicht gezielt seine Beute filtern kann“, so Koller-Peroutka.

Bei der Fangergebnisanalyse zeigten die Wiener Biologen aber einen Zusammenhang zwischen der Zahl der gefangenen Algen und dem Wachstum der Pflanzen sowie der Bildung von Überwinterungsknospen. Wasserschlauchpflanzen, die sich von vielen Algen und Pollenkörnern ernährten, wiesen einen kräftigeren Wuchs auf. Individuen, die jedoch mehr tierische Nahrung aufnahmen, hatten einen höheren Stickstoffgehalt und bildeten mehr Überwinterungsknospen. Pflanzen, die sich ausgewogen sowohl pflanzlich als auch tierisch ernährten, verfügten über Vorteile beider Ernährungsweisen und waren daher am besten entwickelt.

Ein vielfältiges Beutespektrum der Pflanzen sorgt somit für eine breitere Palette an Nährstoffen, die der Pflanze in nährstoffarmen Lebensräumen zugutekommt. Der Wasserschlauch kann durch seine vielfältige Ernährungsweise daher auch Gewässer besiedeln, in denen nur wenige Tiere vorkommen.

Auch das heimische karnivore Fettkraut dürfte Pollen fangen und verwerten können. „Vielleicht kann unsere Publikation dazu beitragen, pflanzliche Falleninhalte bei anderen karnivoren Arten nicht gleich als zufälligen oder nutzlosen Beifang anzusehen, sondern einen möglichen Nutzen in Betracht zu ziehen“, denkt Koller-Peroutka schon weiter.

LEXIKON

Der Wasserschlauch ist mit über 220Arten die größte Gattung fleischfressender Pflanzen. Er fängt seine Beute unter Wasser mit blasenförmigen Fangorganen. Berührt die Beute die Falle, öffnet sich die Fallentür. Durch einen im Inneren des Fangorgans erzeugten Unterdruck wird Wasser samt kleinen Organismen eingesaugt. Nach drei Millisekunden schließt die Falle sich wieder. Die Beutetiere ersticken darin. Ein spezieller Verdauungssaft zersetzt sie dann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2015)

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