Bis ins hohe Alter sicher unterwegs sein

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Senioren gehen viel zu Fuß und sind damit im Straßenverkehr besonders gefährdet. Österreichische Forscher untersuchen jetzt, wo besondere Gefahren für Ältere lauern und wie man Stolpersteine aus dem Weg räumt.

Ältere Menschen sterben öfter bei Fußgänger-Unfällen als jüngere. Etwa 40 Prozent der jedes Jahr getöteten Fußgänger sind Senioren. Österreichische Forscher wollen nun Maßnahmen entwickeln, mit denen sich die Verkehrssicherheit für Ältere verbessern lässt. Psychologen, Soziologen und Maschinenbauer arbeiten dazu im Projekt „Attention“ zusammen.

Zunächst untersuchen sie konkrete Unfall-Szenarien in Stadt und Land. „Wir wollen erkennen, woher die Gefahren für Ältere kommen“, sagt Ernst Tomasch vom Institut für Fahrzeugsicherheit der TU Graz. Das Verhalten der verschiedenen Verkehrsteilnehmer wird dabei genau beobachtet, auch Diskussionsrunden mit Senioren sind geplant. Schließlich will man das Mobilitätsverhalten Älterer genau verstehen.

Eher gefährdet als gefährlich

Denn meist sind ältere Menschen im Straßenverkehr eher selbst gefährdet als für andere gefährlich. Dieser weit verbreitete Eindruck täusche, sagt Daniel Bell, Soziologe beim Projektpartner Factum, einer Forschungseinrichtung mit Schwerpunkt auf Mobilitäts- und Verkehrsforschung. Ältere legen eher kurze Wege zurück, dort passieren mehr Unfälle: Auf lokalen Straßen gibt es mehr Konfliktstellen als etwa auf Autobahnen, das wirkt verzerrend. Darüber hinaus werde über alte Menschen medial anders berichtet, wenn sie Unfälle mit verursachen. Als Unfall zählt zudem nur, wenn sich jemand verletzt. „Ältere sind tendenziell gebrechlicher, das verfälscht die Statistik“, so Bell.

Tatsächlich sind Autofahrer zwischen 60 und 64 Jahren nicht öfter an Unfällen beteiligt. Das Risiko bei jüngeren Autofahrern ist dagegen dreimal so hoch. Ältere seien zwar oft passiver, wirkten damit aber eher ausgleichend zum riskanten Fahrverhalten anderer Verkehrsteilnehmer, sagt Bell. Oder werden selbst zum Opfer.

Die Gruppe der Älteren wächst mit dem demografischen Wandel. Einzugrenzen ist sie allerdings schwer, „die“ Älteren gibt es nicht. „Bedürfnisse, Fähigkeiten, aber auch Einschränkungen unterschieden sich stark. Jemand kann auch bis in die späten 80er noch mobil und reaktionsschnell sein“, sagt der Soziologe. Wer als alt gilt, ist Definitionssache. Für die Wissenschaftler im Projekt „Attention“, das der Österreichische Verkehrssicherheitsfonds und das Technologieministerium fördern, sind es Menschen ab 65 Jahren.

Andere Bedürfnisse ab Pension

Denn mit Pensionsantritt ändern sich meist auch die Mobilitätsbedürfnisse. „Man fährt weniger weit mit dem Auto, geht mehr zu Fuß oder nimmt das Fahrrad“, so Bell. Damit ergeben sich mögliche Unfallszenarien, die viele Statistiken gar nicht erfassen: „Als Unfall zählt meist nur ein Ereignis, bei dem Kraftfahrzeuge involviert sind.“

Stürzt ein Fußgänger über eine Unebenheit auf der Straße wird das genauso wenig erfasst wie ein Radfahrer, den Straßenbahnschienen zu Fall bringen. Die Dunkelziffer an für die Verkehrssicherheit wichtigen Ereignissen ist also hoch.

Auch fehlende Daten dazu, was direkt vor und unmittelbar nach einer Kollision passiert, bereiten den Forschern Kopfzerbrechen. „Das ist wichtig, um abzuschätzen, ob und wann ein Unfall passiert“, sagt Ernst Tomasch. Am Grazer Institut wird dazu seit 2004 eine einzigartige Datenbank mit Angaben zu Unfällen und Gerichtsakten aufgebaut (siehe Beitrag unten).

Außerdem sind die Forscher auf die Entwicklung von Simulationswerkzeugen spezialisiert. Ändert man einzelne Größen – etwa das Verhalten des Fußgängers, eines Fahrzeuglenkers oder auch die Beschaffenheit der Verkehrsinfrastruktur –, so lässt sich abschätzen, wie gut einzelne Maßnahmen wirken.

Pionierarbeit leisteten sie etwa bei den Anfangselementen bei Leitschienen auf Autobahnen. Sie zeigten im vom Technologieministerium und der Asfinag unterstützten Projekt „Sanftleben“, dass dort aufprallende Fahrzeuge regelrecht in die Luft katapultiert werden. Diese Elemente werden seither – den Empfehlungen der Forscher folgend – anders gebaut. Ähnliche Erfolge erhofft man sich auch von „Attention“.

Hindernisse entschärfen

Versteht man das Verhalten der Verkehrsteilnehmer besser, lassen sich Fahrerassistenzsysteme besser weiter entwickeln. Aber auch Hindernisse in der Infrastruktur ließen sich entschärfen, etwa bauliche Stolpersteine auf Gehwegen. Und nicht zuletzt könnten die Ergebnisse in den Fahrschulunterricht einfließen. Schon heute lässt sich sagen: „Mehr vorausschauendes und defensives Fahren wäre ein großer Beitrag für die Sicherheit“, so Maschinenbauer Tomasch.

AUF EINEN BLICK

Im Projekt „Attention“ wollen Forscher Unfallszenarien und gefährliche Situationen für ältere Menschen im Straßenverkehr analysieren. Dazu arbeiten Psychologen, Soziologen und Maschinenbauer eng zusammen.

Aus den Ergebnissen sollen sich Sicherheitsmaßnahmen für verschiedene Verkehrssituationen in Stadt und Land ableiten lassen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.02.2015)

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