Die Häutung der Erde

Agrikultur schlägt leicht in Agribarbarei um: Menschen tragen Böden hundertmal rascher ab als natürliche Prozesse.
Agrikultur schlägt leicht in Agribarbarei um: Menschen tragen Böden hundertmal rascher ab als natürliche Prozesse.(c) Reuters
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Die äußerste Schicht des Planeten, die im Deutschen so heißt wie er selbst, leidet.

North Carolina hat ein offizielles Landestier, das graue Eichhörnchen, North Carolina hat eine offizielle Landespflanze, die Carolina-Lilie, und es hat auch eine offizielle Landeserde, „Cecil“, gelbbraun, tonig. Das ist noch nichts Besonderes, offizielle Erden haben in den USA alle Bundesstaaten. Aber jene von North Carolina hat es zu besonderer Berühmtheit gebracht: Sie rangiert hoch oben in der Liste der bedrohten Arten. Bedrohte Erden?

Sie gibt es selbst für die Kundigen noch nicht lang, obwohl sie seit Jahrtausenden Böden klassifizieren. Die Ägypter kannten zwei Typen, danach richtete sich der Preis; die Chinesen unterschieden neun, nach Farbe, Textur und Feuchtigkeit; in den Registern der US-Regierung sind es 20.000. Alles ist wohl geordnet, hierarchisch, wie bei den Biologen, in Ordnungen, Gruppen, Familien. Cecil etwa gehört zur Ordnung der Ultisole, das sind saure, ausgelaugte Waldböden – Eisen ist noch viel da, sonst fast nichts, kein Kalium, kein Kalzium, kein Mangan. Deshalb heißen sie auch so, im Namen steckt „ultimus“, der Letzte.

Außer Wald gedeiht da nichts, aber wenn man kräftig düngt und kalkt, bringen auch Ultisole hohe Erträge. Das bringt bzw. brachte auch Cecil, die im Südosten der USA einst 40.000 Quadratkilometer bedeckte. In North Carolina ist kaum mehr etwas übrig: „Cecil ist enthauptet“, bedauert Daniel Richter (Duke). „Wir sehen hier eine natürliche Erde, die durch 150 Jahre Landwirtschaft – Baumwolle, Mais, Weizen, Tabak – so gut wie zerstört worden ist.“ (Science 346, S.692) Dass Agrikultur das kann, weiß man auch seit Jahrtausenden, sie schlägt leicht um in Agribarbarei: Dann gehen Böden in atemraubendem Tempo verloren, sie versalzen, versteppen und erodieren vor allem. Geologe Bruce Wilkinson (University of Michigan) hat die großen Dimensionen bilanziert: Zum Abtragen von einem Inch (2,54 Zentimetern) naturbelassenen Boden brauchen Wind und Wasser 1000 Jahre – auf Ackerböden sind es 40 Jahre. Es geht also 25-mal so rasch, und viel rascher, als die Natur neuen Boden bilden kann. Man rechnet grob mit 0,1Millimetern pro Jahr (Geology 33, 161).

Dieses Szenario hat David Montgomery – Geomorphologe der University of Washington und Autor des Buchs „Dirt“ („Dreck“) – dramatisiert. Bei ihm wird nicht ein regionaler Boden zu Tode malträtiert, sondern die ganze Erde, die im Deutschen so heißt wie ihre äußerste Schicht: Sie wird „gehäutet“. Die Folgen kalkuliert Montgomery grob, ohne Zinseszins: Pro Jahr geht ein Prozent verloren, in hundert Jahren ist die letzte Krume weg. Und dann? Die meisten Hochkulturen waren am Ende, als sie ihre Böden erschöpft hatten, nach 30 bis 70 Generationen, 800 bis 2000 Jahren (Dirt S.273).


Zeuge Beryllium. Diese Jeremiaden basierten auf Schätzungen. Erstmals gemessen – und für noch schlimmer befunden – hat dies nun Dylan Rood (London), in Sedimenten in Flüssen in den USA, um die herum das Land im 19.Jahrhundert entwaldet und in Ackerland umgewandelt wurde. In Sedimenten ist ein Marker, das Beryllium-Isotop 10Be. Es wird in der Atmosphäre durch kosmische Strahlen gebildet und lagert sich auf dem Boden ab: Je weniger dort ist, desto rascher lief die Erosion. „Unsere Studie zeigt exakt, wie groß der Effekt der Kolonisierung und der Landwirtschaft in den USA war“, fasst Rood zusammen. „Die Menschen haben die Erde hundertmal rascher abgetragen als alle natürlichen Prozesse.“ (Geology, 7.1.) Hauptverlierer erdweit, mit regional großen Differenzen, ist – wie auf vielen anderen Feldern auch – Afrika: „65 Prozent des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens, 30 Prozent des Weidelands und 20 Prozent der Wälder sind bereits geschädigt“, bilanziert eine Expertenrunde, der Montpellier Panel (http://ag4impact.org). Publiziert wurde die Studie im Dezember, man wollte das „International Year of Soils“ unterstützen, das von der Welternährungsorganisation FAO für 2015 ausgerufen wurde. Die British Geological Society begeht zusätzlich ein „Year of Mud“.

Das mag Galgenhumor sein oder jener der Insel, von den Böden hört man aber wenig Erbauliches. Nur eine Hoffnung hält sich seit Jahren, sie wird just von einer der kargsten Erden der Erde genährt: jener in Amazonien. Auf ihr gedeiht so wenig, dass es kaum große Tiere gibt, auch Menschen sind rar. Aber als der erste Konquistador den Amazonas hinauffuhr, sah er an den Ufern so viele langhaarige Krieger – er hielt sie für Frauen –, dass er den Fluss danach taufte. Man glaubte ihm nicht, es fanden sich auch erst vor etwa 20Jahren regional höchst fruchtbare Böden, „Terra preta dos Indios“. Sie wurde vor Jahrhunderten von Menschen gemacht: Sie arbeiteten Holzkohle, Knochen, Gräten und sonstige Dinge ein. Dann kamen die Konquistadoren, die Indigenen nahmen ihr Wissen mit ins Grab. Man versucht, es zu rekonstruieren, vor allem in den USA hat sich ein blühender Markt mit „Biochar“ entwickelt – veredelt nur mit Holzkohle. Man spricht von Ertragssteigerungen um die zehn Prozent, auf ausgelaugten Böden Afrikas gar 30. Das ist allerdings nicht unumstritten (Nature 517, S.258).

Aber auch wenn das große Werk gelänge, wären doch einzelnen Böden für immer verloren: jene hoch oben auf der Liste der bedrohten Arten. Sie gibt es bei den Erdkundlern seit 1992, Alex McBratney (Sydney) prägte in Analogie zum Begriff der Biodiversität jenen der „Pedodiversität“. Diese schwindet weltweit, wo immer Buch geführt wird: In China sind zwei Dutzend Böden ausgestorben – und 90 gefährdet –, in den USA sind 31 dahin. Hoch oben auf der Liste der Sterbekandidaten rangiert nicht nur North Carolinas Cecil, sondern auch Kaliforniens San Joaquin. Er ist hart wie Stein und beherbergt in saisonalen Tümpeln singuläres Leben. Das hilft ihm jedoch nichts. Dass er Kaliforniens Landeserde ist, hilft ihm auch nichts, der Titel bietet keinerlei Schutz: Früher sprengte man ihn auf, heute reißt man ihn auf, mit monströsen Maschinen, um an die Erde darunter zu kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2015)

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