Linguistik: Afrikanische Sprachen „ticken“ anders

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Bislang wurden die Regeln der europäischen über die afrikanischen Sprachen gestülpt, das führte vielfach zu Fehlinterpretationen. Wiener Forscher erstellen nun eine moderne Grammatik der afrikanischen Sprache Kanuri.

Man soll von sich nicht auf andere schließen. Ein durchaus im Alltag bewährtes Sprichwort, das auch in der Wissenschaft seine Berechtigung hat. „Viele Sprachbeschreibungen funktionieren für Englisch, Deutsch und Französisch, aber nicht für außereuropäische Sprachen“, weiß Norbert Cyffer, emeritierter Professor vom Institut für Afrikawissenschaften der Uni Wien.

Aus diesem Grund wurden afrikanische Sprachen lang als primitiv abgewertet. Dieses Vorurteil will Cyffer gemeinsam mit dem Doktoranden Akin Wewe der Uni Wien sowie den Kollegen Umara Bulakarima und Andrew Haruna von der nigerianischen University of Maiduguri ein für alle Mal aus dem Weg räumen.

Nigeria, Kamerun und Tschad

Die Forscher arbeiten im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts an einer wissenschaftlichen Grammatikbeschreibung der westafrikanischen Sprache Kanuri, die im Nordosten Nigerias, in Kamerun und im Tschad gesprochen wird. Dazu studieren sie Kanuri-Texte und interviewen auch Kanuri-Sprecher.

„Es geht darum, eine Sprache adäquat zu beschreiben. Linguistische Methoden und Strukturen lassen sich nicht automatisch auf andere Sprachen übertragen“, erklärt Cyffer. Er hat insgesamt zwölf Jahre in Nigeria gelebt, ist ein Kenner der Sprache und spricht selbst Kanuri. Das Schwierige: Man muss in neuen Kategorien und Sprachbegriffen denken lernen. Der Afrikaforscher illustriert das an sehr einleuchtenden Beispielen.

In Kanuri werden beispielsweise die Zeiten anders eingesetzt. Man spricht in diesem Fall von Aspekten. Im Deutschen wird das Präsens, also die Gegenwartsform, nur dann verwendet, wenn etwas jetzt und hier passiert. In Kanuri wählt man das Präsens auch, wenn etwas gleichzeitig passiert, selbst wenn dies in der Vergangenheit bereits gewesen ist oder erst in der Zukunft sein wird. So heißt es zum Beispiel: „Als ich letztes Jahr in Wien war, gibt es eine Demonstration.“ Im Deutschen heißt es: „Als ich letztes Jahr in Wien war, gab es eine Demonstration.“

Auch Kausalitäten werden in Kanuri anders ausgedrückt als in den europäischen Sprachen. Im Deutschen bilden wir meistens zwei Teilsätze: „Da ich kein Geld habe, kann ich nicht nach Paris fliegen.“ In Kanuri gibt es dafür keinen Haupt- und Nebensatz, der kausale Zusammenhang wird innerhalb eines Satzes durch die Intonation angezeigt. Bedingungen wiederum setzen sich sehr wohl aus zwei Teilsätzen zusammen. Das ist dem Deutschen ähnlich. „Wenn ich Geld habe, werde ich nach Paris fahren.“

Keine Vergleichsformen

„Selbst in rezenten Grammatiken finden sich immer noch falsche Zuweisungen und Fehlinterpretationen, die auf ein irrtümliches Umlegen des Regelwerks der eigenen geläufigen Sprachen auf fremde Sprachen basieren“, sagt Cyffer. So gibt es in Kanuri keinen Komparativ und Superlativ. Sie werden aber in Grammatiken, die derzeit in Gebrauch sind, fälschlicherweise noch immer angeführt. Wir sagen: „Peter ist größer als Fritz.“ In Kanuri heißt es übersetzt: „Peter ist groß in Bezug auf Fritz.“

Cyffer führt einen weiteren Unterschied an: „Kanuri ist auch keine Fallsprache. Es gibt keine Fälle, aber sehr wohl andere Mittel, um auch diese Feinheiten der Sprache auszudrücken.“

Lexikon

Kanuri. Weltweit sprechen fünf Millionen Menschen Kanuri – ungefähr gleich viele wie Finnisch. Es handelt sich also um keine kleine Sprachbevölkerung, dennoch wurde die Sprache von der Wissenschaft vernachlässigt. Die älteste Grammatik stammt aus dem Jahr 1854. Kanuri ist die am weitesten verbreitete nilosaharanische Sprache, zu deren Sprachfamilie etwa 200 Sprachen zählen. Sie sind vor allem im afrikanischen Binnenland und in der zentralsaharanischen Wüste verbreitet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2015)

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